LESERINNENBRIEFE
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Wenige kapieren es

■ betr.: „Grünes Schneckenrennen“, taz vom 9. 11. 13

Ich beglückwünsche die taz zu ihren Redakteuren mit so gutem Durchblick wie Ingo Arzt zur Energiewende: „In Deutschland kapieren das längst nicht alle.“ Wie wahr! Am wenigsten kapieren es nach meiner Wahrnehmung unsere Agrarminister. Seit langem ist bekannt, dass im Stoffkreislauf der Biosphäre der Boden, insbesondere Grünland, nach dem Meer die größte Kohlenstoffsenke darstellt. Im Gegensatz zum Meer kann man diese Senke vergrößern und damit die Aufnahme von CO2 erhöhen. Bei uns kann das durch Standort- angepassten, ökologischen Landbau, durch Vergrößerung der Grünland- und Weideflächen und Schutz der Moore erreicht werden. Was aber geschieht? Durch die Anwendung von Herbiziden werden alle unerwünschten, mehrjährigen Pflanzen, die mit ihren Wurzeln Biomasse in tiefe Bodenschichten transportieren, abgetötet. Statt den Speicher zu vergrößern, was die einfachste, wirkungsvollste, sinnvollste und billigste Klimaschutzmaßnahme wäre, wird er verkleinert. Und das soll nun auch noch verstärkt werden – mit Gentechnik und noch mehr Pflanzenschutzmitteln. Schön, dass damit auch die inzwischen resistenten „Unkräuter“ noch wirkungsvoll vernichtet werden können, zur Freude von Bayer, BASF und der gesamten agrochemischen Industrie. Durch die zunehmend industrielle Landwirtschaft wird also die wirksamste Kohlenstoffsenke unserer Erde zerstört. Das ist das genaue Gegenteil von dem, was für den Klimaschutz erforderlich ist! Die Pflanzenschutzmittel-haltige Ernte wird dann verfüttert oder direkt von uns verspeist, der nackte Boden wird Opfer der Erosion. Schöne Aussichten für unser Trinkwasser.

ANITA SCHWAIER, Angermünde

Unbedarfte Politikerkaste

■ betr.: „Grünes Schneckenrennen“, taz vom 9. 11. 13

Die Koalitionsverhandlungen offenbaren die Unbedarftheit unserer Politikerkaste, einschließlich der Grünen,die zur Zeit doch gar nicht verhandeln. Ja, die Unbedarftheit von uns allen als Gesellschaft, die unfähig scheint, überlebenswichtige Warnsignale aufnehmen zu können, bedroht uns. Dabei wissen wir von kollabierenden Kulturen. Der Klimawandel hat eine naturgesetzliche Stringenz, die wirtschaftspolitische gar finanzielle Ordnungsvorstellungen einfach überrollt und soziales Elend ankündigt.

Ja, die Energiewende mit ihren Windrädern, PV und vorübergehend ansteigenden Strompreisen ist nur eine der ausgearbeiteten Facetten an Veränderungen, die im Zuge der Großen Transformation (WBGU) anstehen. Die Energiewende selbst ist hoch profitabel, setzt sie doch gewaltige Finanzmittel frei, die für die anderen Aufgaben zur Verfügung stehen. Diese sind zum Beispiel Bodenerosion, Städteumbau,Wasser, Rohstoffkreisläufe. Ohne globale Gerechtigkeitsbemühungen kann das nicht klappen. Wir scheinen wieder auf die Ausgangsposition der Umweltdebatte zurückgeschraubt zu werden. KLAUS WARZECHA, Wiesbaden

Zu schade zum Verbrennen

■ betr.: „Grüne Chance“, taz vom 11. 11. 13

Ist polnische Kohle etwa umweltfreundlicher als deutsche? Es ist bei der stark erneuerungsbedürftigen polnischen Industriestruktur schon verständlich, dass Polen die relativ billige Braun- und Steinkohle gerne noch immer verheizen will und damit den Kohle-Kumpel eine Scheinsicherheit in der Berufsausübung schafft. Das ist im Ruhrkohle-Revier mit Frau Kraft kaum anders. Aber wieso verbrennt man immer noch die Kohle, anstatt sie in der Kohle-Chemie zu nutzen. Zum Verbrennen ist dieser Rohstoff allemal zu schade und zu wertvoll. Zur Energieerzeugung sind regenerative Energien langfristig unschlagbar, für die Umwelt und die Reduktion von CO2- Emissionen sowieso. Auf dem Feld der Kohle-Chemie jedoch neue Arbeitsplätze zu schaffen, dürfte langfristig der Industriearbeiterschaft entgegenkommen, in Deutschland wie in Polen.

ERNST-FRIEDRICH HARMSEN, Berlin

Typisch linkes Phänomen

■ betr.: „Gegen die Unmündigkeit“, taz vom 6. 11. 13

Es ist ein typisch linkes Phänomen: einerseits diese Laissez-faire-Sicht auf Prostitution, andererseits fordert man im Namen anderer benachteiligter ArbeitnehmerInnen strikte Regelungen, die manchmal selbst den Betroffenen zu weit gehen. Warum soll uns die heutige Minijobberin und ihre spätere Altersarmut oder der unterbezahlte Leiharbeiter kümmern? Als erwachsene, mündige BürgerInnen einer freiheitlichen Gesellschaft stehen ihnen genügend Informationen und Infrastruktur (Gewerkschaften, Beratungsstellen etc.) zur Verfügung, Entscheidungen zu treffen und eigene Belange zu vertreten. Könnten SexarbeiterInnen doch auf ein ähnliches Angebot zugreifen! Die Sorge um die Minijobberin handelt doch eher von der Angst, später für deren Fehlentscheidungen aufkommen zu müssen. Wäre das bei ehemaligen Prostituierten denn anders?

Apropos Fehlentscheidung beziehungsweise das Recht auf Selbstzerstörung, wie Frau Gaus das so lässig ausdrückt. Welche Frau Anfang zwanzig hat eine so ausgereifte selbstbewusste Persönlichkeit und selbstbestimmte Sexualität, dass sie von möglichen psychisch-körperlichen oder sozialen Beeinträchtigungen sicher verschont bliebe? Auch erfahrenere Frauen können das wahrscheinlich nicht einschätzen. Genauso wenig, wie ein Heroin- oder Ecstacykonsument die Sucht- und Gesundheitsgefahren seiner Droge wirklich kennt. Nicht umsonst ist manches verboten. Und auch Suizidgefährdete lässt man nicht frei gewähren. SUSANNE GEBAUER, Berlin