Demonstrieren soll Länderspezialität werden

Auf dem Basar der Föderalismusreform soll ausgerechnet das sensible Versammlungsrecht an die Länder gehen

FREIBURG taz ■ „Das Demonstrationsrecht gehört weiter in Bundeskompetenz“, fordern die Grünen. „Denn hier geht es unmittelbar um die Verwirklichung der Grundrechte“, erklärt Jerzy Montag, der rechtspolitische Sprecher seiner Fraktion.

Im Zuge der geplanten Föderalismusreform ist allerdings vorgesehen, dass künftig die Länder fürs Versammlungsrecht zuständig sind. Wenn jedes Land von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, gäbe es 16 unterschiedliche Gesetze. Das Versammlungsrecht ist eines der Politikfelder, die der Bund mit den Ländern gegen Zustimmungsrechte im Bundesrat tauschen will. Im Rahmen der mehrtägigen Sachverständigen-Anhörung wird darüber heute in Berlin beraten.

Unterstützung bekommen die Grünen von der Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union: „Es ist zu befürchten, dass die Länder eher als der Bund das Versammlungsrecht einschränken, weil sie auch die Kosten für die Verkehrsregelung und den Schutz der Versammlungen tragen müssen.“ Der Bochumer Rechtsprofessor Ralf Poscher fürchtet eine „erhebliche fachliche Mehrbelastung der Polizei“, weil sie sich bei Großeinsätzen in anderen Bundesländern in andere Regeln einarbeiten muss. Tatsächlich haben die Länder in den vergangenen Jahren immer wieder Einschränkungen des Demonstrationsrechts vorgeschlagen. Ein Gesetzentwurf aus dem sozial-liberalen Rheinland-Pfalz wollte Demonstrationsverbote an „symbolträchtigen Orten“ wie dem Brandenburger Tor und dem Leipziger Völkerschlachtdenkmal verbieten. Das rot-rote Mecklenburg-Vorpommern schlug ein Verbot von Versammlungen vor, bei denen die Menschenwürde „in Frage gestellt“ wird. Berlins ehemaliger Innensenator Eckart Werthebach (CDU) wollte vor einigen Jahren das Demonstrationsrecht in Berlin-Mitte einschränken, um „die Zumutungen für Anlieger, Autofahrer und Geschäfte“ zu reduzieren. Nichts davon wurde verwirklicht, weil bisher der Bundestag für das Versammlungsgesetz zuständig ist.

Doch auch der Bund hat in den letzten Jahrzehnten mehrfach das Versammlungsrecht verschärft, zuletzt im letzten Frühjahr. Um einen Vorbeimarsch der NPD am Berliner Holocaust-Mahnmal zu verhindern, wurden Demonstrationsverbote an „historisch herausragenden Gedenkstätten“ ermöglicht. Im Bundesgesetz wurde dabei nur das Holocaust-Mahnmal explizit erwähnt. Durch eine Öffnungsklausel können die Länder weitere geschützte Gedenkstätten festlegen.

Von dieser Möglichkeit haben bisher fünf Länder Gebrauch gemacht: Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Hamburg, Thüringen und das Saarland. An insgesamt acht ehemaligen KZ-Standorten können jetzt Demonstrationen leichter verboten werden. Damit sind die Länder heute schon in die Gestaltung des Demonstrationsrechts einbezogen.

Sollten die Länder künftig ganz für das Versammlungsrecht zuständig sein, wäre ihr Spielraum vermutlich nicht viel größer, denn auch sie müssen sich an das Grundgesetz halten und dürfen die Demonstrationsfreiheit nicht übermäßig einschränken. CHRISTIAN RATH