Pop von fernen Sternen

ELEKTRONIK Felix Kubin bleibt als Musiker gern unabhängig vom Popbetrieb. Sein Publikum ist ihm dafür umso wichtiger. Jetzt feiert er im WestGermany den 15. Geburtstag seines Schallplattenlabels Gagarin Records

Der Musiker Felix Kubin feiert im WestGermany 15 Jahre Gagarin Records. Sein Festival „Futur 2 im Nebel“ präsentiert er in Zusammenarbeit mit Alfred Hilsbergs altgedientem Hamburger Label Zickzack Records, auf dem Kubins aktuelles Album, „Zemsta Plutona“, erscheint. Zwei Abende im WestGermany mit Konzerten, Vorträgen und Filmvorführungen geben einen Eindruck vom Kubin’schen Kosmos.

■ Felix Kubin: WestGermany, Skalitzer Str. 133, 14. + 15. 11., www.eineweltaushack.com

VON TIM CASPAR BOEHME

„In letzter Zeit interessiere ich mich sehr für Luft.“ Wenn Felix Kubin Sätze wie diesen in sachlich ruhigem Tonfall ausspricht, weiß man zunächst nicht, ob er gerade zu einem dadaistischen Höhenflug ansetzt oder ernsthaft von seiner Arbeit erzählt. In seinem Fall könnte beides zutreffen. Denn absurder Humor gehört genauso zu seinem Spezialgebiet wie die Klangforschung – und: „Schall ist ja nichts weiter als periodisch bewegt Luft.“

Mit Schall und seinem spezifischen Verhalten in geschlossenen Räumen hat sich der Hamburger Musiker, Hörspielkünstler und Betreiber des Schallplattenlabels Gagarin Records Felix Kubin seit einiger Zeit verstärkt beschäftigt. Seit er in seinem Werk „Echohaus“ vor drei Jahren die Musiker eines Ensembles auf verschiedene Räume eines Gebäudes verteilt spielen ließ und die Klänge dann am Mischpult neu zusammensetzte, achtet er verstärkt auf Raumgeräusche oder den Klang von Räumen.

Im Grunde begleitet ihn der Schall in Räumen seit seiner Kindheit. Der Hamburger Musiker wuchs als Sohn eines Atomphysikers und einer „hysterisch veranlagten“ Mutter in einem Haushalt auf, in dem es nicht nur „wie in einem Affenstall“ zuging, sondern in dem auch noch in jedem Raum ein Radio stand. „Es lief überall Radio, und dann auch oft verschiedene Sender. Die waren permanent an.“

Aus dem Radio lernte er einige der Musiker kennen, die ihn bis heute prägen: Neue Deutsche Welle-Exzentriker wie Die Tödliche Doris oder Palais Schaumburg. „Das waren Momente, in denen ich gemerkt habe: Hier wird Elektronik in einem ganz eigenen Kosmos angewandt. Sie versucht nicht mehr, andere Instrumente zu ersetzen, sondern sie lebt in sich selbst, in einer Welt, die wirklich nur für die elektronischen Medien vorgesehen ist. Das fand ich toll daran. Und es war minimalistisch, es hatte die Kürze und Prägnanz von Punk, auch die Texte waren inspiriert von dieser kurzen Form. Das hat mich angestiftet, selbst etwas zu machen.“

Felix Kubin arbeitet oft mit dem kurzen Songformat, „unterwandert“ dies aber mit eher untypischen Klängen. Anders als früher verwendet er neben seinen elektronischen Instrumenten auch mal akustische Tonerzeuger. Auf seinem aktuellen „Pop“-Album „Zemsta Plutona“ etwa hört man hin und wieder Schlagzeug und Blechbläser. Im Titelstück hingegen, Polnisch für „Plutos Rache“, erklingen südamerikanische Rhythmen, die mit wüstem Musique-concrète-Lärm kontrastiert werden, zwei Dinge, die nicht unbedingt zueinander zu passen scheinen. „Diese Kombination finde ich halt toll. Da entsteht etwas“, so Kubin. Das Stück sei zufällig entstanden, als sein Produzent Tobias Levin mit einem Loop am Mischpult experimentierte.

Der Abstand zum Rest der Welt spielt für Kubins Arbeit eine zentrale Rolle

„Plutos Rache“ ist eine Anspielung auf dessen „Ausgeschlossensein aus der Planetengemeinschaft“ – Kubin denkt gern in größerem Maßstab. Auch der Name seines Plattenlabels, aus seiner Reihe „Radio Gagarin“ hervorgegangen, ist nicht zufällig gewählt: „Die Idee von Radio Gagarin war, dass Gagarin als Pionier in den Weltraum geflogen ist, sein Leben gefährdet hat und dann den Orbit nicht mehr verlassen hat. Diese Radioprogramme waren wie Manifeste eines im Exil lebenden, vereinsamten Menschen, der aber in permanentem Kommunikationskontakt mit dem Rest der Welt steht.“

Der Abstand zum Rest der Welt spielt für Kubins Arbeit eine zentrale Rolle. Denn er möchte nicht das Schicksal vieler Popmusiker teilen, die als Revolutionäre begannen und irgendwann, nachdem sie bei der Industrie gelandet waren, in gemäßigter Belanglosigkeit endeten. Sein Credo: „Man muss versuchen, permanent unabhängig zu bleiben – in seinen Entscheidungen, in seinen Möglichkeiten, in seiner künstlerischen Entfaltung.“ Zugleich wolle er nicht wie ein Eremit leben. „Es macht mir Spaß, auf der Bühne bestimmte Elemente des Entertainments zu benutzen.“ Der Kern seiner von Gagarin inspirierten Orbit-Idee sei daher: „Ich will nicht asozial sein, ich will mich nicht aus der Gesellschaft ausschließen oder flüchten, ich will den Kontakt zu den Leuten, zu denen ich durch meine Kunst kommuniziere. Aber ich will nicht vom Pop-Apparat abhängig sein.“

So kreist Kubin mit sicherem Abstand um den Pop-Kosmos und sendet über sein Label in regelmäßigen Abständen Signale, die von seinen Hörern gern mal missverstanden werden dürfen. Schließlich sei der Rezipient für ihn genauso wichtig wie der Künstler oder das Kunstwerk, der Austausch mit dem Publikum bilde einen Teil des Kunstwerks. „Ich erlebe das ganz oft, dass mir Leute Dinge über meine eigenen Hervorbringungen erzählen, die ich wahnsinnig bereichernd und aufregend finde. Da wird mir eben auch klar, dass Sprache nur ein sehr ungenaues Mittel ist, um etwas zu beschreiben.“