KLISCHEE VON KREUZKÖLLN
: Marinblaue Zukunft

Die Bedienungen haben gute Zähne und einwandfreie Frisuren

Manchmal wundert man sich doch, wie zutreffend die Klischees sind, die so über den eigenen Kiez kursieren, wie banal und vorhersehbar alles doch hin und wieder ist.

Kreuzkölln zum Beispiel. Ja, dieser Ortsteil, den es eigentlich gar nicht gibt, der aber jene Gegend zwischen Kreuzberg und Neukölln bezeichnet, wo – so, und jetzt kommt es – in jedem dritten Haus ein Atelier oder ein niedliches, kleines Café mit Selbstgebackenem eröffnet, wo Menschen mit schicken hohen Turnschuhen und Schnauzbart glauben, ihnen gehöre die Welt, wo es diese Hipster-Clubs gibt, in denen diskutiert wird, ob ultramarinblau oder ockergelb die Farbe der Zukunft ist, wo es aber eigentlich noch total mixed und authentisch zugeht, ein wahrer „Melting Pot“.

Es stimmt alles. Wahrscheinlich. Es stimmt auch, dass ich in Büronähe mittags lange in ein türkisches Café zum Essen ging. Man bekam dort Linsensuppe und Börek, dazu schwarzen Tee. Die sympathische junge Frau an der Theke schimpfte und motzte immer mal wieder – „U 8 schon wieder unterbrochen, so’ne Scheiße“ –, schlechter HipHop dröhnte aus dem Radio oder dem Smartphone, ein Junkie kam häufiger zum Frühstück um diese Zeit. Ab und an kehrten abgerissene Schauspieler oder Schriftsteller ein, deren Gesicht man kannte. Das Café musste schließen, der Eigentümer wollte es raus haben.

Stattdessen gehe ich nun immer in ein anderes Café um die Ecke zum Mittag, das kürzlich eröffnet hat. Dort gibt es veganen Eiersalat (ja, das geht), Kuchen mit experimenteller Würzung (bestimmt Ingwer), die Gäste scheinen alle „big in business“ zu sein (ja, scheinen). Die Bedienungen sehen blendend aus, haben gute Zähne und einwandfreie Frisuren. Meist läuft Singer-Songwriter-Musik oder Indierock. Softe, angenehme Musik.

Alles ist so, wie es scheint.

JENS UTHOFF