„Ich bin auch nur Opfer dieses Systems“

ROCK Sedlmeir staunt in seinen Songs über eine Welt voller „Dinger“, er verhandelt in seinen Texten Hypes und kosmopolitische Lebensentwürfe. Am Freitag stellt er im Kaffee Burger sein aktuelles Album, „Singularität“, vor

■ heißt bürgerlich Henning Sedlmeir. Der 1967 geborene Musiker und Unterhaltungskünstler lebt seit 2004 in Berlin. Früher war er Mitglied der Noise-Band Blind.

INTERVIEW FATMA AYDEMIR

taz: Sedlmeir, Ihr neues Album, „Singularität“, beginnt mit den Worten „Menschen brauchen Rock ’n’ Roll“. Wozu brauchen wir denn Rock ’n’ Roll?

Sedlmeir: Menschen brauchen natürlich keinen Rock ’n’ Roll. Der Text ist zynisch gemeint und spielt sich auf zwei Ebenen ab: Die eine Ebene ist der triste Alltag, die andere ist der Konsum von Unterhaltung. Rock ’n’ Roll wird heute immer noch gern als eine Art Ausbruch aus der Gesellschaft beworben, dabei ist er das lange nicht mehr. Rock ’n’ Roll ist nur ein weiterer Marktsektor.

Für Sie ist Rock ’n’ Roll ein Beruf. Leben Sie allein von der Musik?

Ja, ich lebe sehr knapp davon, und zwar seit 2004, da ist mein erstes Album erschienen. Wenn es sein muss, mache ich zwischendurch auch immer mal andere Jobs. Aber ich habe mich bewusst entschieden, soweit es geht, nur von der Musik zu leben.

Das ist eine mutige Entscheidung. Viele Independent-Musiker trauen sich das nicht und fahren lieber zweigleisig.

Mutig? Um ehrlich zu sein, habe ich mich irgendwann nicht mehr getraut arbeiten zu gehen. Ich habe ein Problem mit Hierarchien und damit, ständig dasselbe tun zu müssen. Es ist so trostlos, denn inhaltlich entsprechen einem die Jobs ja meist nicht genug, um tatsächlich so viel Zeit damit zu verschwenden. Mich hat es irgendwann so runtergezogen, dass mir nichts anderes übrig blieb, als mich auf die Musik zu konzentrieren.

Auf dem Album finden sich viele verschiedene Stile, von Punkrock über NDW bis zum Schlager. Welche musikalischen Einflüsse haben Sie geprägt?

Ich finde, Adriano Celentano war ein großartiger Entertainer, und auch der französische Chansonnier Gilbert Bécaud hat mich stark beeinflusst. Das war so mein Schlager-Input. In meiner Jugend wurde ich aber eher mit Punk und New Wave sozialisiert – Iggy Pop, die Ramones oder Trio waren die Vorbilder.

Ihre Texte sind häufig sarkastische Kommentare auf die Absurditäten der Gesellschaft. Wie wichtig ist für Sie diese Beobachterrolle beim Songwriting?

Meine Texte entstehen immer aus Beobachtungen der Umwelt. Bestenfalls kommen absurde Schlussfolgerungen dabei heraus, weil das Leben in der sogenannten Zivilisation echt so viele Steilvorlagen für ein sinnbefreites Weiterdenken liefert. Das finde ich persönlich sehr interessant. Wenn man A sagt, müsste man ja eigentlich auch B sagen dürfen, das ist in unserer Gesellschaft aber tabu. Absurditäten dürfen sich nur innerhalb eines Regelwerks abspielen. Zum Glück ist das in der Kunst nicht der Fall, da kannste machen, was du willst.

In den Songs „Sie liebt NY“ und „Sommer in Berlin“ beschäftigen Sie sich mit Hypes und kosmopolitischen Lebensentwürfen. Finden Sie das faszinierend, dass Menschen immer auf der Suche nach einem Lifestyle sind?

Klar, Menschen identifizieren sich heute vor allem darüber, was sie haben oder was sie sich über ihren Besitz leisten können. Dadurch entsteht Hipness, die ja auch immer etwas Lächerliches an sich hat. Oft erwische ich mich selbst dabei, wie ich mich lächerlich mache, aber es ist eben schwer, sich davon zu befreien. Diese ganze Lifestyle-Kiste ist auch eng mit dem Konsumgedanken verbunden. Alles endet immer irgendwie darin, was für eine Zigarrettenmarke du rauchst, welche Mode du trägst, mit welchem Verkehrsmittel du reist. Man definiert sich darüber, wie und was man konsumiert. Wenn du deine innere Einkehr suchst, wirst du zum New-Age-Heini, der am besten in der Esoterik-Ecke bei Dussmann bedient ist. Selbst mit Kapitalismuskritik lässt sich ja heute Geld verdienen.

Ihr Song „Dinger“ ist eine bloße Aufzählung dieser Waren. Versuchen Sie denn selbst, sich von diesem Teufelskreis des Konsums zu lösen?

Ich bin zwar jemand, der oft mit wenig Geld auskommen musste und deshalb gar nicht so viel Kram braucht, aber natürlich bin ich auch nur ein Opfer dieses Systems. Mit der Beobachterrolle schaffe ich Distanz und versuche zu erkennen, was der Konsum mit dem Menschen so macht.

Aber Ihnen ist es doch auch nicht egal, welchen Anzug Sie tragen. Sie achten doch auf eine stilvolle Erscheinung.

Nein, das ist mir natürlich nicht egal. Ich habe auch mal einen Song darüber gemacht, dass ich jahrelang nur in Secondhandanzügen herumgelaufen bin. Aber eben nicht nur, weil ich so ein guter Mensch bin und bedenklichen Produktionsweisen wie Kinderarbeit vorbeugen möchte, sondern auch weil die alten Anzüge einfach viel geiler waren. Die Dinger haben einfach gestanden, waren schön steif und viel besser verarbeitet.

■ Sedlmeir (+ Saender & Herzbeat), 15. 11., 22 Uhr, 5 Euro, Kaffee Burger, Torstraße 60. Album: Sedlmeier: Singularität (Haute Areal/Cargo), bereits erschienen