DVDESK
: Wie ein Kiesel auf dem Wasser

„Das Glück der großen Dinge“ (USA 2012, Regie: Scott McGehee, David Siegel), ab rund 13 Euro im Handel

„Das Glück der großen Dinge“ ist die ziemlich vorlagentreue Verfilmung des Romans „What Maisie Knew“ von Henry James. Man merkte es aber kaum, wenn man es nicht wüsste, so geschickt ist die Konstellation vom Ende des 19. Jahrhunderts ins Manhattan der Gegenwart transponiert. Sehr zu Recht nennen der Roman und der Film (im Original) Maisie im Titel: Sie, ein Kind im Grundschulalter, ist die zentrale Figur. Auf einer ersten Ebene geht es dabei weniger um das, was sie weiß, als um das, was ihr widerfährt: Maisies Mutter Susanna (Julianne Moore) singt in einer Band, der Vater (Steve Coogan) ist ein Geschäftsmann. Die beiden streiten sich, trennen sich, finden neue Partner, auch die neuen Bindungen sind von Krisen geprägt.

Näheres erfährt man nicht, das hat mit der zweiten Ebene und dem eigentlichen Clou der Geschichte zu tun. „What Maisie Knew“ ist nämlich sehr wörtlich zu verstehen, schon im Roman. Maisie, das Kind, ist die Fokusfigur, und zwar nicht nur so, dass sie die Blicke der Zuschauer auf sich zieht. Vielmehr schneiden Buch und Film den Blick radikal auf das zu, was Maisie sieht, hört, versteht. Was ohne sie stattfindet, zeigt der Film nicht. Gespräche, die sie nur halb mitbekommt, bleiben für den Zuschauer Gemurmel im Hintergrund.

So ergibt sich ein Puzzle, das die Wahrnehmung des Kinds überzeugend rekonstruiert. Man sieht, hört, versteht dabei als erwachsener Zuschauer natürlich mehr, als Maisie versteht, weil man die Ereignisse der fragmentarischen Szenen anders einordnen kann; und weil man auch versteht, dass Maisie viel davon als Kind nicht recht versteht. Ein abschließendes Urteil über die Eltern kann man sich kaum erlauben, wobei schon sicher ist: Es gibt Grund zur Empörung wegen der Art, in der sie Maisie mit sich allein lassen, sie rumschubsen, vergessen, anderen überlassen.

„What Maisie Knew“ ist ein konsequent umgesetztes Erzählexperiment, das sich aber auf Wahrnehmung und Erfahrung und die Gefühle der Figuren, nicht auf das Experiment kapriziert. Es geht dem Film, anders als den Eltern, vor allem um Maisie. Onata Aprile, ihre Darstellerin, ist gut gewählt: geduldig und spröde, nicht zu hübsch, ihr fliegen die Herzen nicht von vornherein zu. Die Eltern verschwinden bald recht weitgehend aus dem Bild, die neuen Partner treten an ihre Stelle, werden zum prekären Elternersatz. (Das ist auch bei Henry James so, die dort existierende zentrale Gouvernantenfigur ist in der Verfilmung dagegen getilgt.)

Was der Film zeigt, sind angerissene Momente des Unglücks, des Glücks, der Verlassenheit und des Schutzes in den Armen der Ersatzeltern – das aber stets in Wahrnehmungssplittern, dazwischen Ellipsen. „What Maisie Knew“ ist alles andere als düster, so weit hat der ziemlich bescheuerte deutsche Titel „Das Glück der großen Dinge“ schon recht. Der Film hüllt das Unglückskind Maisie in filmische Formen des Glücks und der Liebe. Viel flutendes Licht, harmonischer Indiepop, ein oft geradezu berauschender Impressionismus. Die Wahrnehmung springt, aber wie ein Kieselstein auf dem Wasser. Das ist kein Sozialrealismus, sondern Experimentaloptimismus. Kein Kitsch, der den Machern unterläuft, sondern Wille zur Schönheit. Das irritiert, manchmal sehr. Aber es gibt keinen Zweifel, dass die zwei Regisseure und ihre zwei Drehbuchautorinnen ganz genau wissen, was sie da tun. EKKEHARD KNÖRER