Sachverständigenrat macht der FDP eine Freude

GUTACHTEN Die sogenannten Wirtschaftsweisen kritisieren die Pläne für einen Mindestlohn

BERLIN taz | Kein Mindestlohn, keine Mütterrente, keine Abkehr von der Agenda 2010: Das gestern vorgestellte Jahresgutachten des Wirtschaftssachverständigenrats der Bundesregierung rügt die gegenwärtigen Koalitionsverhandlungen von Union und SPD. Unter der Überschrift „Gegen eine rückwärtsgewandte Wirtschaftspolitik“ konstatieren die Forscher, Deutschland habe auf dem Feld der Arbeitsmarktpolitik „mit der Agenda 2010 den richtigen Weg eingeschlagen“. Jetzt konzentrierten sich die Parteien darauf, „diese Reformen in vielen Bereichen wieder infrage zu stellen“.

Durch einen flächendeckenden tariflichen Mindestlohn würden „die erreichte Lohnflexibilität und die verbesserten Beschäftigungschancen Geringqualifizierter konterkariert“. Zeitarbeit und Befristungsmöglichkeiten blieben „sinnvolle Teile einer Arbeitsmarktordnung, die rasche Anpassungen der Beschäftigung ermöglicht“.

Eine Erhöhung der Einkommensteuer, wie sie SPD und Grüne im Wahlkampf propagiert haben, lehnen die Sachverständigen mehrheitlich ab: Der internationale Vergleich zeige, dass „im deutschen Steuersystem bereits stark von hohen zu niedrigen Einkommen umverteilt“ würde. Die Ungleichheit in Deutschland sei seit 1991 „lediglich moderat gestiegen“.

Ein Minderheitenvotum zu einzelnen Punkten gab Peter Bofinger ab, der als einziger der fünf Sachverständigen oft keynesianische Thesen vertritt. Er schreibt unter anderem, für negative Beschäftigungseffekte eines Mindestlohns hätten die übrigen Ratsmitglieder „keine überzeugende empirische Evidenz“ nachgewiesen.

Der Sachverständigenrat war 1963 von Ludwig Erhard ins Leben gerufen worden. Frühere Vorsitzende wie Wolfgang Wiegard und Bert Rürup gehörten zu den stärksten Befürwortern der Agenda-Politik; die Finanzmarktkrise hatte der Rat nicht vorhergesehen.

Trotz seiner mehrheitlich wirtschaftsliberalen Ausrichtung gilt er in breiten Teilen der Öffentlichkeit als neutrale Institution. Sein bestes Marketinginstrument ist die von Teilen der Medien verwandte Bezeichnung des Rats als „Wirtschaftsweise“.

Die FDP begrüßte gestern das Gutachten des Sachverständigenrates: „Union und SPD dürfen sich den dringenden Mahnungen der Wirtschaftsweisen nicht verschließen“, sagte der Generalsekretär der NRW-Liberalen, Marco Buschmann. MARTIN REEH