Kisten packen für die Agentur

Aus Angst, ihre Wohnung zu verlieren, machen Hartz-IV-Empfänger mobil: In Bochum wollen sie heute mit Umzugskartons vors Rathaus ziehen. 38 Institutionen unterstützen die Demonstration

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Läuft alles so ab, wie es die Hartz-IV-Betroffenen in NRW befürchten, müssen Postboten schon bald einen neuen Vermerk auf nicht zustellbaren Briefen einführen – „Empfänger zwangsumgezogen“. Der Grund: Zu Jahresbeginn forderten die Arbeitsgemeinschaften für die Grundsicherung Arbeitsuchender (ARGE) mehrere tausend Hartz-IV-Betroffene auf, Mietkosten zu senken, zum Beispiel durch Untervermietung ihrer Wohnung. Gelingt dies nicht, droht den Arbeitslosen eine Kürzung der Mietpauschale und ferner der Umzug in eine günstigere Wohnung. Weshalb sie nun zum großen Protest rüsten – mit Pappkartons.

Für den heutigen Donnerstag ruft ein Bündnis aus 38 Institutionen – darunter Gewerkschaften, kirchliche und studentische Einrichtungen – zu einer Demonstration durch Bochum auf. Bedeutungsschwanger wollen die Demonstranten mit Umzugskartons durch die Innenstadt ziehen, um nachmittags vor dem Rathaus eine Mauer zu bauen. Der symbolische Akt soll nicht nur Öffentlichkeit bescheren, sondern vor allem die im Rathaus tagenden Politiker zum Umdenken bewegen. Um 15 Uhr kommt dort der Sozialausschuss der Stadt zusammen, um über das weitere Vorgehen in Sachen Unterkunftskosten zu beratschlagen. Allein die Bochumer ARGE hat 1.400 Bescheide zur Kostenminimierung verschickt. Und gilt überdies als besonders rigide, wenn es um die Durchsetzung der Hartz-Gesetze geht.

Allerdings: 38 Institutionen, die gemeinsam eine Demo ausrichten – das bringt auch Probleme mit sich. So existieren innerhalb des Bündnisses unterschiedliche Ansichten, wie mit Hartz IV-Betroffenen umzugehen ist. „Dass 1.400 Bescheide zu viele sind, da sind wir uns alle einig“, sagt Aichard Hoffmann vom Bochumer Mieterverein, einem Initiator der Demo. Jedoch teile seine Einrichtung beispielsweise nicht die Forderung, dass ausnahmslos jede Miete vom Staat getragen werden solle. Auch weist Hoffmann darauf hin, dass noch niemand aufgefordert worden sei, seine eigenen vier Wände zu räumen. An erster Stelle stehe die Kostensenkung: sei es durch Untervermietung oder Verzicht des Vermieters auf einen Teil der Miete, was aber selten vorkomme. „Ein Umzug ist das letzte Mittel“, sagt Hoffmann, der indes nicht damit rechnet, dass viele Menschen zur Demo kommen werden: „Das zeigt die Erfahrung.“

Andererseits: Wäre ein Umzug mehrerer tausend Menschen in eine günstigere Wohnung auf einen Schlag überhaupt möglich? Wohl nicht. In etlichen Städten des Landes wurden mehr Bescheide verschickt, als es leer stehende und den Hartz-IV-Vorgaben genügende Wohnungen gibt. In Bochum etwa darf eine Hartz-Wohnung für eine Person 45 Quadratmeter nicht übersteigen, sie darf keine besondere Ausstattung wie zum Beispiel Wärmedämmung aufweisen und sie muss sich in „normaler Wohnlage“ befinden.

Mit Blick auf Zuschusskürzungen verweist die Essener Ratsgruppe der Linkspartei auf ein Urteil des Kölner Sozialgerichts, das Mitte vergangenen Monats fiel. Demnach müssen Städte, Gemeinden und ARGE zunächst prüfen, ob Hartz-Wohnungen vor Ort überhaupt verfügbar sind. Sind sie es nicht, muss die tatsächliche Miete vom Staat getragen werden, so der Beschluss des Sozialgerichts. Sowieso haben Klagen gegen Hartz-IV-Regelungen vor Gericht gute Erfolgsaussichten. Bei etwa einem Drittel der Klagen werde zu Gunsten der Antragsteller entschieden, sagte die Sprecherin der 14 deutschen Landessozialgerichtspräsidenten, Monika Paulat, gestern in Münster der Deutschen Presseagentur.

Während sich Hartz-IV-Empfänger gegen Zwangsumzüge wappnen, die es laut dem Bochumer CDU-Politiker Norbert Siewers gar nicht gibt (siehe Interview unten), macht schon die nächste Hiobsbotschaft die Runde: Nach Angaben der NRW-Grünen plant der Bund, sich aus der Finanzierung der Unterkunftskosten zurückzuziehen. Rund 30 Prozent werden derzeit von Berlin getragen. Für das kommende Jahr steht das aber offenbar auf der Kippe. „Dann werden die Kommunen noch mehr Druck auf die von Hartz-IV betroffenen Menschen ausüben“, vermutet Andrea Rupprath, Sprecherin der NRW-Grünen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales aber dementiert: Derzeit gebe es keine Hinweise, dass der Bund seinen Anteil kürzen will, so eine Sprecherin zur taz.