Pfeift endlich ab!

Auch dem Desinteressierten ist es unmöglich geworden, dem WM-Fußballgetrommel zu entgehen. Was lange als Nebensache eine friedliche Existenz führte, droht nun mit Dauerpräsenz auf allen Feldern. Eine Missfallensbekundung

Haltet die Klappe, möchte man den Wortführern zurufen und denen, die ihnen schafsähnlich hinterherstolpern

von Friederike Gräff

Jetzt ergeht es uns mit dem Fußball wie mit dem Sex. Er ist überall. Er soll Produkte aller Art verkaufen, wird gemeinhin als unser vorderstes Interesse begriffen und als ein Gegenstand, über den möglichst häufig mit möglichst vielen Menschen gesprochen werden sollte. Zögerliche gelten als Spielverderber. Das ist mäßig erfreulich und vermutlich sogar kontraproduktiv für den Fußball selbst.

„Wo ist das Problem?“, fragen die Gleichgültigen. Wenn es nichts Interessanteres gibt, kann man ebenso gut über Fußball sprechen. Über Wochen hinweg in den Zeitungen verfolgen, wen der Klinsmann vielleicht aufstellt und vielleicht nicht, später erfahren, wer es tatsächlich wird und dann noch drei Tage im Nachgang darüber meditieren, ob es eine gute Entscheidung war. Warum nicht in Frieden alle Intendanten dieser Republik unausgegorene Fußballstücke auf die Bühne bringen lassen in der Hoffnung, auch einmal mehrheitsfähig zu sein? Warum mäkeln am unglücklichen Einzelhandel, der jetzt naturgemäß Weltmeisterschaftsbrötchen, -windeln, -haarbürsten und - waschmaschinen verkaufen möchte?

Weil es zuviel ist. Soviel zuviel, dass man mit der Nase darauf gestoßen wird, dass dieser Kaiser nackt ist, dass er sich im Feuilleton nur mäßig gut bewegt, dass 1.000 neue Fußballbücher zu viel sind und dass, obwohl die Welt zu Gast bei Freunden sein wird, die Freunde selbst nicht unbedingt an Erfreulichkeit gewonnen haben. Man mag Franz Beckenbauer dafür danken, dass er die Weltmeisterschaft nach Deutschland gebracht hat. Vielleicht ist es zu etwas gut. Gewiss ist, dass Beckenbauer noch immer die Aura einer verstörend großen Selbstzufriedenheit verbreitet, dass man FIFA-Präsident Joseph Blatter nach wie vor nicht in einem dunklen Parkhaus begegnen möchte, genauso wenig wie übrigens dem DFB-Präsidenten Gerhard Meyer-Vorfelder, der als baden-württembergischer Kultusminister äußerte, dass die Chaoten in Wackersdorf schlimmer umhersprängen „als die SA jemals“.

„Na und“, sagen die Gleichgültigen. „Das ist nach der WM vorbei.“ Aber natürlich ist es nach der WM nicht vorbei. Es geht um einen Irrtum, der sich immer tiefer in die Köpfe der Leute eingräbt: Dass Fußball etwas ist, das unbegrenzte Redezeit verdient hätte. Was nebenbei die Frage aufwirft, wer da eigentlich redet. Mit vernachlässigbaren Ausnahmen sind es Männer, Semi-Intellektuelle, die sich, es muss nun mal gesagt werden, zu Zeiten, als die deutsche Frauenmannschaft Fußballweltmeisterinnen wurden, eher bedeckt hielten. Jetzt aber haben sie erkannt, dass es einen leeren Raum gibt im allgemeinen Diskurs, der gefüllt werden kann, nein: muss, mit der Erörterung einer Sportdisziplin. Man mag sich zur eigenen Erheiterung ähnliche Betriebsamkeit in Sachen Bodenturnen vorstellen.

Trübsinnig ist es dennoch. Denn es ist die gleiche Personage, die Figuren wie Jenny Elvers – vorderste Qualität: eine inzwischen beendete Ehe mit Dieter Bohlen – hoffähig gemacht hat für ausführliche Berichterstattung jeglicher Art, der gemeinsam ein zart ironischer Unterton ist, den man sich getrosten schenken könnte. Eine Personage, die sich im Wettbewerb zwischen Kompetenz und Prominenz für letzteres entschieden hat. Die es lässig findet, Menschen zu Themen zu befragen, von denen sie möglichst wenig verstehen. Diese Meinungsmacher also bieten Raum für Menschen wie Frau Elvers und wenn alles glatt geht, wird Nationalspieler Bastian Schweinsteiger sich demnächst über den Wirtschaftsstandort Deutschland äußern. Von Schweinsteiger ist übrigens das schöne Diktum „Das sind meine Kusinen“ überliefert, als er zu später Stunde im Pool seines Clubs Bayern-München mit zwei mäßig bekleideten Frauen angetroffen wurde. Noch scheinen die Spieler bei den Pressekonferenzen ein wenig überrascht vom Interesse, dass ihnen entgegengebracht wird, aber das wird sich schon noch legen.

Haltet die Klappe, möchte man den Wortführern zurufen und denen, die ihnen schafsähnlich hinterherstolpern. Aber sie halten sie nicht und wenn, dann nur, wenn es interessante Fragen in Sachen Fußball zu stellen gäbe. Seit wann eigentlich sind die Polizeiaufgebote vor den Stadien zu riesigen Trauben angewachsen? Und seit wann ist es schick geworden, Spieler als „Bimbo“ zu beleidigen? Wie viele Fans schätzen es, wenn die Stadien zu ausgelagerten Unternehmensauftritten werden, wenn sie sich in einer AOL-, Allianz- oder AWD-Arena wiederfinden, wo sie möglichst teure Fan-Artikel kaufen sollen – denn irgendwoher müssen die heillos verschuldeten Vereine ja das Geld für die astronomischen Spielergehälter nehmen? Warum hört man nichts von denen, die in einem Akt des Aufbegehrens T-Shirts in den alten Vereinsfarben drucken ließen, als die Farben des Sponsors überhand nahmen? Und prompt vom Vorstand zurückgepfiffen wurden?

Schweigen im Walde, zumindest in jenem, der jetzt so laut rauscht.