„Wachsendes Misstrauen“

MARXISMUS Tagung zur gegenwärtigen Krise und zu Wegen in eine nachkapitalistische Ökonomie

■ 58, ist Sozialwissenschaftler, Lektor beim Hamburger VSA Verlag und Redakteur der Zeitschrift Sozialismus.

taz: Herr Detje, Sie sehen uns in der größten Krise des „neoliberalen Kapitalismus“. Was nun?

Richard Detje: Erstmal müssten wir uns darüber verständigen, welche Dimensionen diese Krise hat. Sie ist nicht einfach eine konjunkturelle Krise, die einfach mit einem neuen Aufschwung wieder verschwindet, wie die Bundesregierung uns einzureden versucht. Wir haben es auch mit einer politischen Krise zu tun. In Europa sortiert sich gerade die extreme Rechte neu. Antikapitalismus kann eben auch einen rechten Entwicklungsweg einschlagen.

Bedeutet Umbruch heute vor allem Verschlechterung?

Im letzten Jahr gab es eine Umfrage des Instituts für Demoskopie in Allensbach. Die haben repräsentativ gefragt, ob der Kapitalismus in der heutigen Form nicht mehr zu unserer Welt passt. 48 Prozent der befragten Bundesbürger haben dem zugestimmt und nur 18 Prozent waren nicht der Auffassung. Zeitgeschichtlich haben wir so etwas wie ein wachsendes Misstrauen an der Funktionsweise dieses Systems.

Aus der Unzufriedenheit leitet sich aber noch kein Wandel ab.

Dass es still ist, heißt jedenfalls nicht, dass die Leute zufrieden sind. Wie kommen wir da raus und wer ist schuld? Dass es zu wenige Antworten und Auswege gibt, blockiert das eigene Tun.

Der Grundtenor ihrer Tagung ist: Der Kapitalismus ist gescheitert, wir bewegen uns in eine neue Gesellschaft. Wie könnte die aussehen?

Das ist die 1.000-Dollar-Frage. Die Tagung bewegt sich noch ein Stück weit im Vorfeld dieser Frage. Man muss sich erstmal damit auseinandersetzen, inwiefern die historischen Antworten gescheitert sind und dann sehen, welche Ansatzpunkte es heute gibt. Einer ist das bedingungslose Grundeinkommen. Mein Ansatz geht stärker von einer Wirtschaftsdemokratie aus, die ihren Ausgangspunkt in der Selbstbestimmung in den Betrieben hat.

Über die wollen Sie am Sonntag sprechen. Ein Beispiel?

Die Arbeitnehmerfonds, die man in den 70er- und 80er-Jahren mal in Schweden angefangen hat: Da geht es um die Frage, wie der gesellschaftliche Reichtum umverteilt werden kann, der jetzt in die Finanzmärkte fließt. Über solche Fonds, die im öffentlichen Eigentum sind, könnten heute Investitionen in gesellschaftliche Bedürfnisse gesteuert werden.  INTERVIEW: LKA

Tagung der Marxistischen Abendschule Hamburg (MASCH) zur „Aufhebung des Kapitalismus“: 15. bis 17. November, Universität Hamburg, Edmund- Siemers-Allee 1