Heftig rockender Wanderzirkus

ROCK In Extremo sind mit ihrer Melange aus Metal und Mittelalterrock erstaunlich erfolgreich – sie haben einen eigenen Stil gefunden und sind nicht ironiefern, wie auch auf dem neuen Album „Kunstraub“ zu hören ist

Sie geben zu, dass sie im Geschichtsunterricht nicht richtig aufgepasst haben

VON THOMAS WINKLER

Es war im Oktober 2012. Da stahlen zwei rumänische Diebe, nur ausgestattet mit einem Schraubenzieher, aus der Kunsthalle von Rotterdam sieben berühmte Gemälde von Picasso, Matisse oder Gauguin. Ziemlich genau ein Jahr später kommt das neue Album von In Extremo in die Läden und trägt den Namen „Kunstraub“. Der Titel sei, erzählen die Bandmitglieder nun, inspiriert von dem spektakulären Museumseinbruch. Vor allem „die Eleganz an einem Raub“, gab André Strugala, einer der Dudelsackspieler der Band, zu Protokoll, habe der Band gefallen.

In Extremo für Eleganz verhaften zu wollen, darauf ist allerdings noch niemand gekommen. Man kann der in Berlin gegründeten Band allerhand vorwerfen: Ihren rüden Umgang mit der Geschichte, ihre auf Knalleffekte bauende Musik und selbst ihren erstaunlichen Erfolg – aber ganz bestimmt nicht, dass dieser Erfolg auf einer allzu großen künstlerischen Sensibilität gründen würde.

Nein, In Extremo sind laut und grell und stolz darauf. Das demonstrieren sie gerade auf ihrer Tournee durch ausverkaufte Hallen und auch auf „Kunstraub“. Die Gitarren donnern wie der Zorn Gottes, der Rhythmus rumpelt wie ein Pferdefuhrwerk und Strugala, den Fans der Band eher als Dr. Pymonte kennen, spielt sich zusammen mit Flex dem Biegsamen und dem Yellow Pfeiffer quer durchs mittelalterliche Instrumentarium von Sackpfeife über Schalmei, ein flötenähnliches Gerät, und Hackbrett bis zu Drehleier und Nyckelharpa, ein Streichinstrument.

Allerdings ist mittlerweile nicht mehr allzu deutlich zu hören, dass die Band Mitte der Neunzigerjahre auf den zu dieser Zeit gerade florierenden Mittelaltermärkten entstanden ist. Damals wurde In Extremo von den Gralshütern vorgeworfen, ihre Kostüme entsprächen ebenso wenig den historischen Vorbildern wie ihre Dudelsäcke, die sie in immer größer konstruierten, damit sie sich auf der Bühne gegen die E-Gitarren behaupten konnten. Als Frevel wurde von den Puristen auch empfunden, dass die Band mittelalterliche Texte mit Metal-Riffs unterlegte. Der Band war’s egal. Und ihrem neuen Publikum auch. Denn das wuchs, obwohl der Mittelalterboom längst abgeebbt ist, immer weiter, weil In Extremo es geschickt verstanden haben, ein Spektrum von Rammstein bis Zupfgeigenhansel abzudecken.

Nun, auf „Kunstraub“ übernehmen die Gitarren jetzt endgültig das Kommando, darf die Mittelalter-Abteilung nur noch zur Erholung herumpfeifen. Außerdem findet sich kein einziger historischer Text mehr, aber das ist auch nicht nötig, denn Sänger Michael Rhein, genannt das letzte Einhorn, kultivierte in den von ihm gedichteten Stücken schon immer eine irgendwie altertümliche Sprache. Seine Protagonisten sitzen dort, „wo ein lustiges Feuer prasselt“ und „Lästerlieder“ gesungen werden. Sie tragen „tausend Träume in den Armen“, „treiben mit dem Wind“ oder sind vom „Laster auserkoren“. „Es tut so weh, wenn ich die Gaukler weinen seh’“, singt Rhein.

Dieser Eskapismus verkauft sich blendend – bislang wurden mehr als anderthalb Millionen Platten verkauft. In der Rangliste der aktuell erfolgreichsten Berliner Bands rangieren In Extremo längst in der zweiten Reihe hinter Rammstein und Die Ärzte. Ihre letzten beiden Alben, „Sängerkrieg“ von 2008 und „Sterneneisen“ von 2011, stiegen bis auf Platz eins der deutschen Charts. „Kunstraub“ schaffte es Mitte Oktober zwar nur bis auf die Zwei, geschlagen von Caspers „Hinterland“, aber ließ dabei immerhin schwergewichtige Konkurrenz wie Andrea Berg, Sting oder Justin Timberlake hinter sich.

Noch besser funktioniert der zwar simpel gestrickte, aber höchst effektive Crossover auf der Bühne. Unterstützt von viel Feuerwerk inszenieren sich In Extremo als heftig rockender Wanderzirkus, der zwischen den angeblich guten alten Zeiten und dem neuzeitlichen Alltag eine Nische gefunden hat. Erstaunlich ist allerdings, wie viele Menschen sich in dieser Nische ebenso wohl fühlen.

Dass In Extremo der Sprung vom Mittelaltermarkt in den Mainstream gelungen ist, mag nicht zuletzt daran liegen, dass sie sich – im Gegensatz zu manchen Kollegen wie etwa Subway To Sally, denen sie in herzhafter Feindschaft verbunden sind – nicht allzu ernst nehmen. Sie sind die ersten, die zugeben, dass sie im Geschichtsunterricht nicht richtig aufgepasst haben, und auch wenn seine Texte sicherlich nicht in den literarischen Kanon eingehen werden, pflegt Rhein doch immerhin eine angenehme ironische Distanz zum eigenen Schaffen. „Ich bin der Größte, bin der Beste“, singt er in „Lebemann“.

So anarchisch und gestrig das Image von In Extremo sein mag, die Band schlachtet es höchst professionell aus. Die Kunsträuber von Rotterdam dagegen entpuppten sich als arge Dilettanten. Die Millionen teuren Gemälde sollen in einem Badeofen in Rumänien verbrannt worden sein. Nein, Eleganz klingt ganz anders.

■ In Extremo: „Kunstraub“ (Vertigo/ Universal) live: 16. 11. in der Columbiahalle