Ab ins Ungewisse

Es besteht im Kongo kein Klima der Sicherheit, in dem ein fairer Wahlkampf garantiert wäre Milizen einzelner Politiker und Kommandeure sind noch immer mächtiger als Kongos nationale Armee

von FRANÇOIS MISSER

Während für den europäischen Truppeneinsatz in der Demokratischen Republik Kongo jetzt alle Ampeln auf Grün stehen, verschlechtert sich vor Ort die politische Stimmung. Sowohl über den geplanten Wahltermin des 30. Juli als auch um die Modalitäten der Einsetzung demokratischer Institutionen nach der Wahl wird in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa heftig gestritten. Eine tiefe Kluft tut sich auf zwischen dem Optimismus der internationalen Gemeinschaft und der wachsenden Skepsis wichtiger Teile der politischen Klasse und der Zivilgesellschaft im Kongo. Die EU-Truppe riskiert, militärisch in eine Situation einzugreifen, in der es keinen Konsens über die politischen Spielregeln gibt.

Als in Deutschland die Diskussion um die Entsendung von Bundeswehrsoldaten in den Kongo zur Absicherung der Wahlen gegen mögliche Putschisten begann, stellte sich die Lage dort noch völlig anders dar. Im Dezember 2005 hatte das kongolesische Volk per Referendum eine neue demokratische Verfassung mit überwältigender Mehrheit angenommen. Daraufhin kündigte im Januar Kongos wichtigste Oppositionspartei UDPS (Union für Demokratie und Sozialen Fortschritt) das Ende ihres Wahlboykotts an, und die Wahlkommission stellte Wahlen für April in Aussicht.

Doch dann lehnte die Wahlkommission es zuerst ab ab, einer Forderung der UDPS zur Wiederöffnung der Wählerregistrierungsbüros Folge zu leisten – während der Boykottphase ihrer Partei hatten viele ihrer Sympathisanten die Registrierung verweigert. Daraufhin erneuerte die UDPS ihren Boykottaufruf und hält sich bis heute vom Wahlprozess fern. Das hat erhebliche Konsequenzen: Nach Schätzung der International Crisis Group (ICG) umfasst die Anhängerschaft der UDPS unter ihrem Führer Etienne Tshisekedi drei bis vier Millionen Wähler, knapp ein Siebtel der Stimmberechtigten im Kongo, mit einem sehr viel höheren Anteil in Kinshasa sowie in den diamantenreichen Kasai-Provinzen. Wenn in diesen Regionen zahlreiche Wahlberechtigte nicht mitstimmen können oder wollen, leidet die Glaubwürdigkeit der Wahlen, die eigentlich für den Kongo einen historischen Schritt nach vierzig Jahren Diktatur und Krieg darstellen sollten.

Einen weiteren Dämpfer für den Demokratisierungsprozess stellte Anfang Mai die Festlegung des Termins für die Parlamentswahl sowie die erste Runde der Präsidentschaftswahl durch die Wahlkommission auf den 30. Juli dar. Dies war angesichts der Schwierigkeiten bei der technischen Vorbereitung unvermeidlich. Aber der Wahlkalender ist unvollständig: Einen Termin für eine mögliche Stichwahl für das Präsidentenamt gibt es nicht, und das Datum der Kommunal- und Provinzwahlen soll erst Mitte Juni festgesetzt werden. Ohne Stichwahltermin bleibt offen, wann ein gewählter Staatschef sein Amt antreten kann; ohne lokale Wahlen kann weder die zweite Parlamentskammer gebildet werden, noch kann die in der neuen Verfassung als wichtigste Neuerung hervorgehobene Dezentralisierung des kongolesischen Staatswesens beginnen.

Nun befürchten immer mehr unabhängige Kräfte, dass die bestehende Allparteienregierung aus Präsident Joseph Kabila und vier Vizepräsidenten, zusammen mit Ministern aus allen früheren Bürgerkriegsfraktionen und einem ernannten Übergangsparlament, viel länger im Amt bleibt als geplant. In den geltenden Friedensabkommen ist die Amtszeit dieser Übergangsinstitutionen auf den 30. Juni 2006 begrenzt. Die neue Verfassung, formal bereits in Kraft, legt zwar fest, dass die Übergangsinstitutionen so lange weitermachen, bis gewählte Nachfolger existieren – aber keiner weiß, wann das sein wird; und mit jedem Monat mehr an der Macht ergeben sich für die jetzigen Machthaber zusätzliche Möglichkeiten, die Demokratisierung zu sabotieren und staatliche Ressourcen zu stehlen.

Die internationale Gemeinschaft, die die Wahlen mit 470 Millionen Dollar finanziert, erkennt diese Probleme bisher nicht. UNO, EU und andere Partner haben wiederholt betont, der Wahltermin des 30. Juli müsse gehalten werden. Belgiens Außenminister Karel De Gucht gratulierte Wahlkommissionschef Apollinaire Malu-Malu „zu diesem Ergebnis, das für alle akzeptabel ist“. Das Diplomatengremium Ciat (Internationales Komitee zur Begleitung des Übergangsprozesses), in dem Kongos Partnerländer regelmäßig den Stand des Friedensprozesses evaluieren, rief am 5. Mai zur Respektierung des Wahlkalenders auf. EU-Chefaußenpolitiker Javier Solana sagte, der 30. Juli „muss endgültig sein“. Lediglich an den Lücken im Wahlkalender äußerte der EU-Ministerrat diese Woche Kritik.

Diese Warnungen haben gewichtige Adressaten: die UDPS als größte Oppositionspartei und die katholische Kirche, einflussreichste Religionsgemeinschaft und wichtigste zivilgesellschaftliche Kraft des Landes. Die UDPS meint, dass die Argumente der Wahlkommission gegen ihre Bitte um eine neue Wählerregistrierung zu Jahresbeginn – zu wenig Zeit, zu wenig Geld – angesichts der Verschiebung der Wahlen auf Ende Juli und der Kosten der geplanten EU-Truppenentsendung keinen Bestand mehr haben. Die Katholische Bischofskonferenz des Kongo (Cenco) kritisierte gleich nach Festsetzung des neuen Wahltermins die „unilaterale“ Vorgehensweise der Wahlkommission, weil diese damit die Amtszeit der Übergangsregierung einseitig bis nach dem bisher gültigen 30. Juni verlängert habe, und forderte einen „politischen Dialog“.

Erzbischof Laurent Monsengwo, Führer der katholischen Kirche, erklärte: „Man muss sich auf einen für alle akzeptablen Wahltermin verständigen, um zu vermeiden, dass jemand meint, nach dem 30. Juni gäbe es keine (legalen) Institutionen mehr.“ Noch schärfere und direktere Kritik am Wahlprozess und seinen „Schattenseiten“ werden von einzelnen katholischen Bischöfen geäußert. Kabila kann hingegen auf die Unterstützung der christlichen Kimbanguisten-Kirche zählen, der zweitgrößten Religionsgemeinschaft des Landes neben den Katholiken, sowie mehrerer protestantischer Freikirchen.

Inzwischen gerät die Wahlkommission des Kongo immer mehr unter Beschuss. 11 der 33 Präsidentschaftskandidaten haben sich der Kritik der katholischen Kirche an der Festlegung des Wahltermins durch die Wahlkommission angeschlossen und den Rücktritt ihres Chefs Malu-Malu gefordert. Unter ihnen sind einflussreiche Politiker: Gérard Kamanda wa Kamanda, Minister in der jetzigen Regierung; Jonas Mukamba, einstiger Chef von Kongos staatlicher Diamantenfirma Miba; Nzanga Mobutu, Sohn des verstorbenen Diktators; Joseph Olenghankoy, in den 90er-Jahren einer der Wortführer der Demokratiebewegung. In einer gemeinsamen Erklärung verurteilen sie auch „die massive Registrierung von Ausländern auf den Wählerlisten, vor allem an den Ost- und Südgrenzen“ – gemeint sind Ruander und Angolaner. Die beiden größten einstigen Rebellenbewegungen des Kongo, die jetzt jeweils einen der vier Vizepräsidenten des Landes stellen, haben sich ebenfalls der Forderung nach einem „politischen Dialog“ angeschlossen, ebenso mehrere einflussreiche politische Parteien wie die Christdemokraten von der PDSC und die Koalition Codeco (Konvention kongolesischer Demokraten) des aussichtsreichen Präsidentschaftskandidaten Pierre Pay-Pay.

Da diese Stimmen bei der Wahlkommission nach wie vor auf taube Ohren stoßen, kursieren in Oppositionskreisen in Kinshasa inzwischen Pläne für Massenproteste ab dem 30. Juni. Da der offizielle Wahlkampf am 29. Juni beginnt, sind Ende Juni erhebliche Turbulenzen im Kongo zu erwarten – zu einer Zeit, da der Aufbau der EU-Militärmission in Kinshasa, die von der Opposition verdächtigt wird, Kabila zu unterstützen, in vollem Gange sein wird.

Ende Juni vergangenen Jahres führten Oppositionsproteste bereits zu schweren Unruhen in mehreren Städten. Heute flammen selbst in Landesteilen, in denen kein Bürgerkrieg herrscht, soziale Unruhen auf: Streiks von Studenten, Ärzten und sogar Angestellten der Wahlkommission; Proteste von Bewohnern der Bergbaugebiete gegen Übergriffe von Sicherheitskräften und gegen die undurchsichtige Vergabe von Konzessionen und Land an Investoren und Privatpersonen.

Zugleich bedeutet die wachsende Ablehnungsfront, dass das Ergebnis der Wahlen – wie auch immer es ausfallen wird – von zahlreichen politischen Kräften nicht anerkannt werden könnte. Die International Crisis Group (ICG) wies kürzlich darauf hin, dass es im Kongo keine unabhängige Justiz gibt, was die Proklamation von Wahlergebnissen durch die Gerichte problematisch macht. Alle Mitglieder des Obersten Gerichts (CSJ) wurden von Kabila ernannt, und sie haben sich bereits durch fragwürdige Pro-Kabila-Entscheidungen hervorgetan, zum Beispiel die Ablehnung aller Klagen gegen seine Kandidatur wegen seines zu spät erfolgten Austritts aus der Armee. Es gibt im Kongo auch keine Gesetze zur Parteienfinanzierung, was verdeckten Wahlkampfspenden vor allem aus der staatlich kontrollierten Mineralienindustrie Tür und Tor öffnet.

Dazu kommt, dass in den östlichen Regionen des Landes weiter Krieg herrscht. Und da Privatarmeen und Milizen einzelner Politiker und Kommandeure noch immer mächtiger sind als Kongos nationale Armee und selbst diese zunehmend schwere Menschenrechtsverletzungen begeht, besteht auch anderswo im Kongo kein Klima der Sicherheit, in dem ein fairer Wahlkampf garantiert wäre.