Das Kunstwerk erkrankt nie

Im dialogischen Projekt „Vitamin K“ begegnen sich Künstler aus der Psychiatrie und professionelle Künstler. Das Kunsthaus Kannen in Münster zeigt in der Ausstellung „Wellenlänge“die Ergebnisse

VON PETER ORTMANN

Falco Tiez ist Künstler, schneidet Holz, hat an den Akademien Dresden, Berlin und Münster studiert. „Mann muss immer zerstören können in der Kunst, sonst kann man keine gute Kunst mehr machen“, sagt er. Tiez arbeitet mit Isabelle Roth-Schwellensattel zusammen. Für sie war die Technik des Holzschneidens neu, musste sich über einfache Motive wie Kreise und Vögel hineintasten, er arbeitet lieber mit großen abstrakten Motiven. Der Austausch der Platten begann, die Ergebnisse auf Bütten werden im Kunsthaus Kannen gezeigt, mitten im Alexianer Krankenhaus, einer Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie.

In diesem Jahr feiert das Münsteraner Museum für „Outsider Art“ und „Art Brut“ sein zehnjähriges Bestehen, die Sammlung ist auf über 5.000 Werke angewachsen. „Wellenlänge“ heißt die Ausstellung zum Jubiläum. Professionelle KünstlerInnen aus Akademien in München und Enschede (NL) und KünstlerInnen aus der Psychiatrie werden nach dem Kunstprojekt „Vitamin K“ präsentiert.

Mitten im Ausstellungsraum steht ein kleines Haus aus hellem Stoff, zwei Schemel, zwei CD-Player. Es ist die Arbeit von Wolfgang Werner Brandl und Clea Daiber. Er ist Dichter, hat einige seiner Werke auf Band gesprochen, sie hat ein paar zusätzlich vertont und singt die Texte. Der Raum im Raum transportiert die ruhige Atmosphäre des Kunsthauses, dämpft das Licht, schafft trügerische Geborgenheit – draußen steht noch eine seltsame Welt aus Pappe, dokumentiert von einer Videokamera. Der Monitor steht im Ein-Euro-Laden. „Zwei Uhren – später festgestellt, dass die Uhren gleichzeitig ein Feuerzeug sind“, erklärt Werner Streppel die Installation mit Flughafen, die er gemeinsam mit Jörg Kattenberg aufgebaut hat.

Die moderne Technik hat längst den Weg zu den KünstlerInnen in den betreuten Langzeitwohngruppen der Psychiatrie gefunden. Vorbei sind die Zeiten, wo Bleistift und Zeichenpapier therapeutisch genügten. Die Entwicklung der Kunstpraxis von geistig Behinderten ist weitergegangen seit ihren Anfängen zu Beginn des 20. Jahrhundert, als die später vom Kunstmarkt hofierte Kunstrichtung Art Brut aus der Landesnervenheilanstalt Maria Gugging in Niederösterreich oder der Sammlung von Hans Prinzhorn in Heidelberg an die Öffentlichkeit gelangte. „Wir leben in der Gegenwart“, sagt Lisa Inckmann, Leiterin des Kunsthauses. Heute würden viele der KünstlerInnen in Münster inzwischen gern mit Digitalkamera und Videocam arbeiten. Fotografiert haben viele, oft waren in der Vergangen die Kosten zu hoch, doch es reichte bereits 2004 zu der Ausstellung „Wer sieht was“, in der bereits Laien und professionelle Fotografen zusammen gezeigt wurden.

In der Ausstellung „Wellenlänge“, die auch Teil des Münsteraner „madness and arts“-Festivals war, aber noch bis Ende September zu sehen ist, steht sogar ein stilisierter turntable. Er ist das Ergebnis der Zusammenarbeit des Künstlerteams Mirna Limon und Guido Fenske. Beide haben schnell ihre gemeinsame Vorliebe für „Drum and Bass“ entdeckt und die DJ-Musikanlage gebaut. Dazu gibt es via Kopfhörer Musik von Fat Boy Slim und einen unverstellten Blick auf die Kunstwerke der anderen 22 KünstlerInnen, ob erkrankt oder gesund, das lässt sich kaum feststellen – Kunst ist Kunst. An der Landstraße stehen zur selben Zeit Trecker, auf denen Transparente gegen die neue Forensik wettern.

Bis 1. Oktober 2006Kunsthaus Kannen, MünsterInfos: 0251-966560