„Problem mit Formatierung“

FREIER JAZZ Zum zweiten Mal widmet sich das Festival „Jazz & The Edge of the Plate“ dem Freejazz und der freien Improvisation. Ein Gespräch mit Veranstalter Ale Dumbsky

48, war Schlagzeuger bei den Goldenen Zitronen und hat das Label Buback Tonträger mitgegründet und 20 Jahre lang betrieben. Er veranstaltet das Independant Film Festival und ist Herausgeber des Read-Magazins. Gemeinsam mit Harald Retzbach macht er seit Jahren die Radiosendung „Bonus Referat“ und veranstaltet zum zweiten Mal das Festival „Jazz & The Edge of the Plate“.

INTERVIEW ROBERT MATTHIES

taz: Herr Dumbsky, zum zweiten Mal präsentiert Ihr Festival „Jazz & The Edge of the Plate“ im Golem zeitgenössischen Freejazz und freie Improvisation. Was unterscheidet es von anderen Jazz-Festivals?

Ale Dumbsky: Der offene Geist. Man verbindet mit Jazz immer so ein Ambiente, das geht von Autowerbung bis zum Dixieland-Frühschoppen, dazwischen ein paar Rotweintrinker, die sich zu Hause Charlie Parker anhören. Jeder in dieser Stadt findet Jazz gut. Das ist genau das, was ich nicht mag. Es geht wesentlich geiler. Und das wollen wir machen: Zeigen, dass es einen anderen Jazz gibt, andere Läden, andere Sprache, andere Bands.

Und ein anderes Publikum?

Ale Dumbsky: Letztes Jahr war es voll und es war genau das Publikum da, das ich mir erhofft hatte. Auch ein paar Jazz-Jazz-Leute, vor allem aber andere. Man wünscht sich als Veranstalter immer, dass Leute kommen, weil sie sich überraschen lassen wollen. Ich habe den Eindruck, dass uns das im letzten Jahr gelungen ist.

Freier Jazz ist sonst sicher kein Publikumsmagnet. Woran liegt es, dass das Festival so ein Erfolg war?

Zum einen gab es bisher in Hamburg noch kein Festival für improvisierte Musik. Der zweite Punkt ist, wie wir die Leute ansprechen. Dass wir das im Golem machen können, ist super. Es gibt nicht viele Läden, die sagen: Okay, wir machen zwei Tage ein Freejazz-Festival. Auch unsere Plakate sind nicht so eine richtige Jazz-Ansprache. Und dann das Programm: Wir legen die Definition von Freejazz sehr breit an, haben echt unterschiedliche Sachen, ganz verschiedene Ansätze.

Zusammen mit Harald Retzbach, mit dem Sie auch das Festival veranstalten, machen Sie seit Jahren die Radiosendung „Bonus Referat“ auf Byte.fm. Da hört man neben Freejazz auch Rap oder Klassik.Was treibt Sie an, was interessiert Sie an Musik?

Mir geht das, was man Indie oder Alternative nennt, total auf die Nerven. Das ist ganz fieser Mainstream-Kram inzwischen. Man verbindet sofort einen gewissen Sound damit. Ich habe ein massives Problem mit Formatierung. Aber es gibt, was die Musik angeht, noch ganz andere Planeten! Das ist unser Ansatz: Neuentdeckungen. Und in so ein paar Sachen kennen wir uns ganz gut aus, aber die finden nicht im Radio statt. Wir haben in diesem Jahr zum Beispiel eine zweistündige Sendung über den Neue-Musik-Komponisten Mauricio Kagel gemacht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass 90 Prozent der Byte-Hörer das nicht kennen.

Dieses Jahr ist mit Mats Gustafssons Trio The Thing Schwedens herausragender Freejazzer beim Festival zu Gast …

Das ist für natürlich der Superknüller! Fast alles, was er macht, finde ich gut. Das Fire Orchestra zum Beispiel, das ist so eine Art Bigband, halb Orchester, halb Bigband: Eine unglaubliche Wucht, im besten aller Sinne ist das roh. Aber die können das natürlich. Das ist ganz weit davon entfernt, Rotwein-Pfeifenraucher-mäßig zu sein, das knallt richtig raus. Und das Trio The Thing, das dieses Jahr bei uns zu Gast ist: Das ist der Wahnsinn. Die haben letztes Jahr eine Platte gemeinsam mit Neneh Cherry gemacht, eine der besten Platten des Jahres!

Was gibt es sonst dieses Jahr zu hören?

Wir haben am Freitag Anna-Lena Schnabel, die ist erst 23 Jahre alt, hat aber so eine ernsthafte Herangehensweise an das, was sie macht. Und das Tumorchester: eine Band, die vielleicht eine Handbreit Jazz in sich trägt, aber auch Noise. Die kommen eigentlich nicht aus dem Jazz, haben aber einen Jazz-Ansatz, sind frei in Komposition und Improvisation. Und Reincke/Hughes/Popple: geile Typen, die machen Spaß, die sind schlau, die haben sogar Humor, das kommt bei Jazzern selten vor. Und Low End, ein Duo mit einer interessanten Kombination von Instrumenten: Bassklarinette, E-Bass, Standbass. Da hast du immer immer Hinterkopf: Die Instrumente passen nicht zueinander. Dabei können tolle Sachen rauskommen, weil du dir echt etwas einfallen lassen musst, um etwas Interessantes draus zu machen. Das ist mehr als Miteinanderspielen und Aufeinanderachten!

■ Fr, 22. 11. und Sa, 23. 11., je ab 20 Uhr, Golem