Die Trägodie einer Besetzung

MESSERSTICHE UNTER ILLEGALEN

In Kreuzberg wird nur zugeschaut – bis zur nächsten Messerstecherei

Es war eine selbstbewusste Ansage. „Wir sind keine Opfer, wir sind Widerstandskämpfer“, hieß es auf den Flyern. Da hatten gerade 60 Flüchtlinge und Unterstützer aus der autonomen Szene die frühere Hauptmann-Schule in Kreuzberg besetzt. Die Aktion sei ein „selbstbestimmter praktischer Schritt zur Abschaffung der rassistischen Asylgesetzgebung“. Nun werde man ein „selbst organisiertes, soziales Zentrum aufbauen“.

Das war vergangenen Dezember. Ein Jahr später ist von dem „Sozialzentrum“ nichts mehr übrig. Aus der Schule ist ein Matratzenlager geworden, ein Refugium für afrikanische Flüchtlinge aus Italien und Spanien, für Obdachlose, für Osteuropäer mit ihren Kindern. Fenster sind zerschlagen, Toiletten auch. Duschen und Küchen fehlen. Es gibt kein Plenum mehr, aber umso öfter Streit. Am Donnerstag wurde ein Flüchtling lebensgefährlich niedergestochen. Die Täter sollen Mitbewohner sein.

Die Tragödie dieser Besetzung hinterlässt nur Verlierer. Die autonomen Mitstreiter, die bald das Weite suchten. Das grüne Bezirksamt, das die Besetzung duldete und dann nur noch zusah, wie sich das Haus verselbstständigte. Der Senat, der sich, außer mit Grünen-Schelte, nie für das Elend interessierte. Und natürlich die Flüchtlinge selbst, die in dem Haus erbärmlicher leben als in jedem Asylantenheim.

Dass es so kam, hat viel mit der Überschätzung zu tun, dass Menschen, die um ihre Existenz kämpfen, auch noch Muße für Plenen über Freiräume haben. Vor allem aber hat es zu tun mit einem System, das „Illegale“ schafft, aber sie nicht sehen will. Man könnte also sagen: Gut, dass es immerhin einen Ort gibt, wo diese ein Dach über dem Kopf und eine laufende Heizung finden. Dies kann man aber nicht mehr sagen, wenn dort Menschen fast ermordet werden.

Im kleinen Augsburg hatten Engagierte 2011 eine Idee: Sie machten ein leeres Altenheim zum „Grandhotel Cosmopolis“, in dem heute Asylbewerber neben Touristen und Künstlern leben, sich Duschen und ein Café teilen. Es funktioniert.

Auch das Kreuzberger „Sozialzentrum“ hätte zum „Grandhotel“ werden können. Dafür aber hätten die Autonomen und die Stadt mit anpacken, ein Konzept entwickeln müssen. In Berlin aber schaut man nur zu, wie Flüchtlinge um ihr Dasein ringen. Bis zur nächsten Messerstecherei. KONRAD LITSCHKO