unter beobachtung
: Kleinkind in der Big-Brother-Box

Seinen eigenen Sohn hat der Psycholinguist Deb Roy vom Massachusetts Institute for Technology (MIT) in Cambridge als Versuchsobjekt auserkoren. Big Brother total muss das jetzt neun Monate alte Kind über sich ergehen lassen. Mit 11 Videokameras und 14 Mikrofonen hat der MIT-Forscher seine Wohnung ausgestattet. Von 8 bis 22 Uhr sind die Geräte aufnahmebereit. Täglich 14 Stunden registrieren sie jede Bewegung und jeden Laut des kleinen Jungen. Das Experiment soll bis zum dritten Geburtstag des Kindes laufen. Der Psycholinguist Roy und seine Kollegen am MIT wollen mit Hilfe ihres „Versuchskaninchens“ herausfinden, wie ein Kind die Sprache erlernt. Zur Auswertung werden die gespeicherten Mitschnitte wöchentlich an das MIT überspielt. Die Aufzeichnung und spätere Auswertung von familiären Situationen für wissenschaftliche Zwecke ist nichts Ungewöhnliches. Dies gehört in der Psychologie schon lange zum Alltag. Auch wenn derartige Forschungsprojekte zum Teil über viele Jahre liefen, aufgezeichnet wurden immer nur kurze Zeiträume. Eine Beobachtung fast rund um die Uhr wie jetzt in Cambridge wurde aber bisher noch nicht durchgeführt. Schon jetzt ist Roys außergewöhnliche Sammlung auf 24.000 Stunden Videoaufzeichnungen und 33.000 Stunden Tonmitschnitten angequollen. Ethische Probleme mit der Dauerbeobachtung seines Sohnes hat Deb Roy nicht. „Vielleicht hat er als erster Mensch ein Gedächtnis, das bis zu seiner Geburt zurückreicht“, wird Roy im New Scientist zitiert.

WOLFGANG LÖHR