schule, stillstand etc.
: Die immer gleichen Lieder

Auf dem Flohmarkt musste ich neulich ein Buch mitnehmen, weil es mich sehr an früher erinnerte. Vorne drauf ein Strichmännchen mit Schleife und rotem Luftballon, innen drin Lieder aus einer rührenden Zeit vor 20 Jahren, in der man fortwährend Mädchen ermutigte, sich aus der Frauenrolle zu befreien, in der zum Atomkraftwerk Whyl/Kaiserstuhl ein „KKW-Nein-Rag“ geschrieben wurde und ein Liedermacher das niedliche badische Volkslied „In Mueders Stübele“ aktuell umgedichtet hatte: „Well der Atomstrom / git große hm hm hm / well der Atomstrom / git viel Profit. So bist d Arwet los / un bisch din Acker los / Un dine Herre bliiwe riich und groß.“

Umgehauen hat mich Lied Nr. 71: „Die Hauptschullehrerin“. Die erste Strophe lautet: „Voll gestopft mit Illusionen / trittst du deinen Weg hier an / denkst dir, dass man mit Vertrauen, Offenheit und schönen Reden / wunder was erreichen kann. / Doch da erntest du nur Spott / deine Klasse übt Boykott / Und dann raten dir die Lieben: Frollein, gehn Se doch nach drüben!“. Strophe zwei beklagt die große Anzahl der Kinder, die im „Hauptschulmief“ landen, Strophe drei durchschaut die Interessen der Stadt, „sich dieses Ghetto zu erhalten“, in Strophe fünf sind „Lehrerpraktikanten angepasste graue Mäuse, bibbernd vorm Berufsverbot“. Und im Sponti-Erklärkasten am Ende wird festgestellt: „Die Hauptschule ist heute die Restschule der Nation. Davon ist auch das Bewusstsein der Schüler geprägt … Beim Versuch, ihren Schülern größtmögliche Hilfe zu gewähren, merken die Lehrer oft, dass die Probleme … stark mit der Struktur der Institution Schule verknüpft sind …“

Von 1975 und aus dem Grips-Theater stammt dieses Lied, und dass seit über 20 Jahren das Problem Hauptschule = Restschule = Sackgasse bis ins Songbuch für die Massen bekannt und bemängelt wird, das macht einen schier heulen. Nichts hat sich geändert, und jeder neue Aufschrei jedes/r neuen Bildungsbeauftragten über zu wenig geförderte HauptschülerInnen, über peinliche Pisa-Ergebnisse für Migrantenkinder wirkt lächerlich: Ja, kann man denen vielleicht mal ein Exemplar der „Liederkiste“ (es gab auch das „Liederbuch“, den „Liederkarren“ etc.) schicken, damit sie sich das nächste Mal nicht so erschrecken, weil die Gesellschaft noch immer weit entfernt von der Chancengleichheit vor sich hin dümpelt? Das Design mit dem Luftballonmännchen geht inzwischen bestimmt als Retro durch. JENNI ZYLKA