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Archiv-Artikel

wim wenders in der taz vor 12 jahren über seine fotografien in dem band „einmal“

Für mich ist ein Grund zu fotografieren oder zu filmen, die Dinge vor dem Verschwinden zu bewahren. Auch bei Dreharbeiten habe ich oft meine Kamera da aufgebaut, wo man wußte, das gibt es bald nicht mehr. In „Der amerikanische Freund“ haben wir die Häuserzeile aus dem Hamburger Hafen erst in letzter Sekunde ausgesucht. Eigentlich wollten wir woanders drehen, aber als wir hörten, die Häuser sollten abgerissen werden, war klar: Wir mußten hier drehen.

Das hat in jedem Film die Wahl der Schauplätze beeinflußt. „Der Himmel über Berlin“ ist heute ein historisches Dokument – nicht nur wegen der Mauer. Wo der Zirkus stand, dieses Niemandsland gibt es nicht mehr. Die Orte dieses Films, speziell jene, wo nichts war, sind verschwunden. Inzwischen wird alles zugebaut, als ob es kein Morgen gäbe. Bei Menschen empfinde ich da eher eine Scheu.

Wenn man den Fotoapparat auf einen Menschen richtet, werde ich das Gefühl nicht los, etwas zu machen, was diesen Menschen überleben wird. Auch beim Filmen. Bei „Lightning over Water“ stand ein todkranker Mensch vor der Kamera, und alle wußten, daß jeder Negativschnipsel Nicholas Ray überleben würde. Nun war das sein Wunsch, er wollte es unbedingt. Trotzdem – einen Menschen zu fotografieren finde ich immer problematisch. Leute, die ohne weiteres immer ihren Apparat zücken können, um andere Menschen zu fotografieren, habe ich entweder bewundert oder ihnen zutiefst mißtraut.

Die Wahrheit, die es bei jedem Fotografieren gibt im Moment des Fotografierens, diese Wahrheit gibt es in der elektronischen und vor allem jetzt in der digitalen Bildaufzeichnung nicht mehr. Beim Video gibt es das Einzelbild schon nicht mehr, nur ein Band, das man ohne Hilfsmittel nicht mehr wiederbeleben kann. Bei der digitalen Aufzeichnung ist der Wahrheitsgehalt eines Bildes nicht mehr nachprüfbar.

Jede Kopie ist identisch mit dem Original, jedes Atom eines Bildes, also jedes Pixel, ist manipulierbar. Ob du einen Pickel auf der Nase hast oder ob du überhaupt in dem Raum warst, ob es dich überhaupt gibt, das Bild ist kein Beweis mehr. Noch kann man das vom Fotografieren nicht sagen: Es gibt einen Zusammenhang zwischen Realität und Reproduktion. Eben darin liegt auch die Moral des Fotografierens.

Wim Wenders, taz, 19. 5. 1994