Wie russische Atom-Minister träumen

Der Chef der Moskauer Atombehörde will, dass bis 2030 jährlich zwei neue Atomkraftwerke ans Netz gehen

BERLIN taz ■ Um seine Energieversorgung abzusichern, müsse Russland ab 2010 bis 2030 jährlich zwei neue Atomkraftwerke errichten. Dies fordert der Chef der russischen Atombehörde, Sergei Kirijenko. Beginnen wolle man schon nächstes Jahr nahe St. Petersburg: Angaben Kirijenkos zufolge sollen neben dem alten Kraftwerk Sosnowyj Bor vier Reaktoren im Wert von rund 4,7 Milliarden Euro gebaut werden.

Nicht nur das: Kirijenko möchte, dass die russische Atomindustrie neue Märkte auf dem internationalen Parkett erobert. Besonders rechne man mit Aufträgen aus China. Russland müsse außerdem als offener Konkurrent auf dem amerikanischen Nuklearmarkt auftreten, forderte Kirijenko – am Vorabend seiner USA-Reise. Seit der Sowjetzeit herrschen in den USA starke Einfuhrbeschränkungen für russisches Uran.

Den Bau der neuen Kraftwerke im Inland begründete der Atomminister mit dem Auslaufen der Nutzungsfrist der bestehenden AKWs zwischen 2015 bis 2025. Schon heute sind deren Lagerkapazitäten für verbrauchten Brennstoff weitgehend erschöpft. Außerdem plant die russische Regierung, den Anteil von Atomstrom von derzeit gut 16 Prozent an der gesamten Elektrizitätsversorgung bis 2030 auf 25 Prozent zu steigern.

Wladimir Sliwjak, Atomexperte der russischen Umweltorganisation Ecodefense in Moskau, meint, dass Russland für die eigene Versorgung auf Atomstrom umsteigen wolle, weil es sich angesichts der gestiegenen Öl- und Gaspreise die eigenen natürlichen Ressourcen nicht mehr leisten könne. Mit diesen Vorräten wolle man lieber Devisen machen. Sliwjak wies darauf hin, dass die Zahl von 40 neuen Atomkraftwerken bereits seit dem Jahre 2000 auf dem Programm des russischen Atomministeriums steht – ohne dass irgendetwas passiert ist. „Diese Pläne sind absolut unrealistisch“, tröstet der Umweltschützer: „Im letzten Jahrzehnt haben wir es nur alle drei bis vier Jahre geschafft, ein neues AKW in Betrieb zu nehmen – und das waren Anlagen, die bereits zu Sowjetzeiten fast fertig gestellt waren.“ Zum Beispiel das AKW Kalinin 3: Obwohl 1990 drei Viertel der Anlage bereits standen, ging es erst 2005 ans Netz. Sliwjak bezweifelt, dass die russische Atombehörde das Geld für ihre Pläne auftreiben kann.

Dazu hatte allerdings der im Kreml gern gesehene deutsche Vermittler Alexander Rahr eine Idee, die er zu Angela Merkels Moskau-Besuch im Januar vortrug. Wünsche Deutschland von Russland eine erfolgreiche Vermittlung im Irankonflikt, müsse es „Gegenleistungen“ bringen. Rahrs Vorstellung gehen einen kleinen Umweg: Die Grüne Partei, so der Russlandexperte, sei out; Westeuropa habe das Gefühl, dass Atomenergie sicherer ist als die Abhängigkeit von russischem Gas. Rahr: „Da bieten sich Möglichkeit für eine Zusammenarbeit: Deutschland könnte den Atomenergiemarkt der EU für die Kooperation mit Russland öffnen.“ Übersetzt heißt das: Westeuropa importiert russische AKWs, Russland finanziert aus dem Geschäftsgewinn die eigenen Pläne. Zu gut Deutsch: So wird’s nie. BARBARA KERNECK