Arme, kranke Schlucker

200.000 Menschen leben in Hamburg in Armut. Viele von ihnen sind aber nicht nur arm, sondern auch krank. Eine Kampagne der Wohlfahrtsverbände macht auf den Zusammenhang aufmerksam.

Von Maximilian Probst

Die Zahlen sind alarmierend: Menschen, die dem Einkommen nach zum unteren Fünftel der Gesellschaft gehören, leben sieben Jahre kürzer als diejenigen, die das obere Fünftel bilden. Und das Risiko schwer zu erkranken, ist für den ärmeren Teil doppelt so hoch. Diese Zahlen stellte die Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (AGFW) im Rahmen ihrer dritten Kampagne zu verdeckter Armut vor, die in diesem Jahr die gesundheitlichen Folgen von Armut in den Mittelpunkt rückte.

Zwar lägen die gesundheitlichen Folgen von Armut auf der Hand. Dass sie aber häufig unter den Tisch fielen, meint Gerhard Trabert von der FH Nürnberg, zeige schon das Arbeitslosengeld II: Für Ernährung sind 4,02 Euro täglich vorgesehen – zu wenig, wenn sie ausgewogen sein soll. Oder der jüngste „weltfremde Vorschlag“ aus den Reihen der Großen Koalition, eine Gebühr von fünf Euro pro Artzbesuch einzuführen. Das geben die jetzt schon knappen 13,80 Euro, die monatlich für Gesundheitskosten veranschlagt sind, einfach nicht her.

Ähnlich sieht das Hanna Blase vom Nachbarschaftsladen St.Pauli. Es komme schon mal vor, dass eine Frau trotz schwerer Krankheit nicht gleich zum Arzt gehe, sondern erst aufs neue Quartal warte – um nicht zweimal die Praxisgebühr zu zahlen.

Kritisch betrachtet wird von der AGFW auch die Tendenz, den Armen mehr Eigenverantwortung aufzubürden. So muss sich ein Hartz-IV-Empfänger mittlerweile selbst eine Krankenkasse suchen und die Anträge stellen. Das aber seien Hürden, an denen viele scheiterten. Der Sozialwissenschaftler Rolf Rosenbrock präzisierte, dass der Hinweis auf Eigenverantwortung zu kurz greife. Denn bereits „die Bedingungen der Möglichkeit, selbstverantwortlich zu handeln, sind ungleich verteilt“. Eine sozial verantwortliche Gesundheitspolitik stünde deshalb immer unter dem Motto: „Auf die Leute zugehen – nicht warten, dass sie kommen.“ „Schon eine Beratungsstelle aufzusuchen“, sagt Hanna Blase, „ist für viele schon zuviel.“

Die AGFW versucht es trotzdem: Mit einer kostenlosen Beraterhotline und Infoständen in mehreren Stadtteilen. Interessierte können sich über Ansprüche auf Sozialleistungen beraten lassen und Adressen von Beratungsstellen in ihrem Stadtteil erhalten. Immer wieder zeige sich dabei, so der AGFW, wie viele Leute Anspruch auf Unterstützung hätten, diese aber nicht nutzten. Der letzte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung kam zu dem Ergebnis, dass auf drei Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt eineinhalb bis zwei weitere Berechtigte kommen, die diese nicht in Anspruch nehmen. Neben den 120.000 Sozialhilfeempfängern in Hamburg müsse man darum von 80.000 weiteren Personen ausgehen, die in relativer Armut lebten. Gerade in Zeiten, in denen so häufig von Sozialschmarotzern geredet wird, verdiene dieser Sachverhalt mehr Aufmerksamkeit.

Zum Beispiel in Form eines neuen Armuts- und Reichtumsberichts für Hamburg: Der letzte liegt jetzt schon neun Jahre zurück. Für das Jahr 2001 war zwar ein weiterer Bericht geplant, wurde dann aber, so AGWF-Geschäftsführer Michael Edele, nach dem Regierungswechsel „von Seiten der Behörden zu den Akten gelegt“. Fatal, meint Rosenbrock, denn Armut „lässt sich am effektivsten bekämpfen auf einer soliden Datengrundlage“.