Kiez-Lektion ohne Folgen

14 Mitglieder der Hamburger Zuhältergruppe Marek wegen Angriffs auf Konkurrenten auf St. Pauli freigesprochen. Kronzeugin fällt um, die Zuhälter-Opfer wollen niemanden erkannt haben.

von MAGDA SCHNEIDER

In Zuhälter-Kreisen auf Hamburg-St. Pauli gibt es seit Generationen einen Verhaltenskodex. Die schlichte Kiez-Formel lautet: Rivalitäten werden nicht vor der Polizei und der Justiz ausgetragen. So mag es nicht verwundern, dass das Landgericht Hamburg gestern 14 Mitglieder der Zuhältergruppe um Carsten Marek vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung mangels Beweisen freisprechen musste, die einem konkurrierenden Bordellbetreiber eine schlagkräftige Lektion erteilen wollten. „Dass sich der massive Angriff laut Anklage so zugetragen hat, davon ist die Kammer überzeugt“, erklärte Richter Hartmut Loth im Urteil. „Wir können es nur nicht nachweisen.“ Damit wirft das Verfahren ein Schlaglicht auf die Grenzen der Justiz bei der Strafverfolgung von Milieukämpfen.

Carsten Marek (46) gehört seit 2000 zu den schillernden Figuren des Hamburger Rotlicht-Milieus. Seit die Rockergruppe Hells Angels wegen ihrer Brutalität gegenüber ihren Sexarbeiterinnen von der Polizei aus dem Verkehr gezogen worden ist, regiert Marek das Terrain rund um die Herbertstraße auf St. Pauli. Die so genannte „Albaner-Mafia“ zog sich in die Prostitution in über die Stadt verteilten Modellwohnungen zurück.

140 Sexarbeiterinnen in 14 Bordellen und Absteigen waren für den Frauen-Ausbeuter Marek anschaffen. Um sich scharte er eine Gang von 85 Muskelmännern, die als „Wirtschafter“ für ihn tätig waren. Sie verleiteten ihre Freundinnen zur Prostitution. 27 Millionen Euro soll die Gruppe seit 2001 von „ihren Mädels“ abkassiert haben.

Dass sich Frauen in der Prostitution immer noch repressiven Bedingungen unterwerfen, ist nicht selten – trotz der Legalisierung, trotz der Bemühungen von Frauenorganisationen und der Gewerkschaft ver.di, den Frauen im sexuellen Dienstleistungsgewerbe ordentliche Bedingungen zu verschaffen. Denn die Loddels sind auf St. Pauli paradoxerweise auch „Schutz- und Ordnungsfaktor“ – nur wenige Kilometer entfernt, auf dem Autostrich oder dem Drogenkiez in St. Georg gelten die Huren häufig noch als „Freiwild“.

Doch auch in „geregelten Kiez-Verhältnissen“ lassen sich die Zuhälter-Bosse ungern Einnahmen von Konkurrenten und deren „Pferdchen“ wegnehmen. Und schon gar nicht, wenn sie aus dem „eigenen Stall“ kommen. So wie Rene H. (38) und Peter H. (37), früher bei Marek als „Wirtschafter“ auf der Lohnliste. Sie machten sich selbstständig und eröffneten in der Herbertstraße ein eigenes Bordell – mitten in Mareks Revier. Sie ignorierten ein vom ehemaligen Chef verhängtes „Stadtverbot“.

Die Reaktion war Kiez-typisch: Am Abend des 2. Mai 2005 lauerten 20 Glatzköpfe und Maskierte Rene H. und Peter H. mit Totschlägern und Baseballkeulen auf. Aber statt ihnen einen Denkzettel zu verpassen, verlieren Mareks Männer die Kontrolle: Peter H. alias „Mannheimer Peter“ zückt eine Waffe und schießt auf die Angreifer, diese schießen zurück und treffen Rene H. in die Wade. Es entwickelt sich eine Wildwest-Szenerie – verängstigte Prostituierte suchen in der Davidwache Schutz. In anliegenden Kneipen wie dem „Günter Jauch“, der Marek-Pinte „Rotlicht“ oder der „Tanzhalle St. Pauli“ dauert das Tohuwabohu an, bis die Polizei eintrifft.

Für den Kiez war das ein verheerendes Ende der Strafaktion: Carsten Marek will zwar den Showdown nicht angeordnet haben. Doch der Vorfall ruft den Staatsapparat in seit Jahren ungekannter Härte auf den Plan. Unter Hochdruck heften sich Milieufahnder an die Fersen der Marek-Gang. Es kommt am 8. Juli 2005 zur Riesenrazzia. 500 PolizistInnen stürmen 37 Etablissements und Wohnungen in Hamburg und Umgebung. „Wir können als Polizei nicht wegschauen und die Dinge laufen lassen, auch wenn es in den vergangenen Jahren wenig spektakuläre Vorfälle im Rotlicht-Milieu gegeben hat“, begründet Milieu-Fahnder Detlef Ubben das Vorgehen. Und auch wenn Carsten Marek zunächst nichts Konkretes nachgewiesen werden kann, zeigt das Sammeln von Beweismitteln doch Wirkung. Im November holt die Polizei mit 700 BeamtInnen zum zweiten Schlag gegen die Marek-Gang aus – der größten Razzia in der Geschichte St. Paulis. Das Mobile Einsatzkommando nimmt den Kiez-Boss unter Einsatz von Blendgranaten in einem Speisesaal des East-Hotels nahe der Reeperbahn fest, dazu zehn seiner „Manager der Führungsetage“. Marek sitzt seither wieder im Oldenburger Untersuchungsknast. Im Juni wird ihm der Prozess wegen „Rädelsführerschaft in einer kriminellen Vereinigung“ gemacht, der kaum so glimpflich ausgehen dürfte, wie das gestrige Verfahren.

Dabei war sich die Staatsanwaltschaft im aktuellen Fall zunächst auch sicher, die „Mittlere Führungsebene“ der Marek-Gruppe an die Kandare zu bekommen. Mit der Prostituierten Margarethe Sch. (28) konnte sie eine Kron- und Augenzeugin der Schießerei präsentieren. Sie hatte lange für die Marek-Leute gearbeitet und war somit die tragende Säule der Anklage. Im Zeugenschutzprogramm der Polizei schien sie sicher. Die „mutige Hure“ hatte die 14 Angeklagten zunächst auch vor Gericht als Schläger identifiziert. Doch im Nachklapp kam sie an ihre Grenzen – sie machte vom Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Denn im Kreuzverhör von 14 versierten VerteidigerInnen lief sie Gefahr, sich selbst der Begehung von Straftaten zu bezichtigen. Da ihre Aussage nicht auf Glaubwürdigkeit überprüft werden konnte, war sie ohne Bestand.

Und dass sich die Opfer getreu der Kiez-Regel dem „Gesetz des Schweigens “ unterwarfen, war nicht überraschend. „Mannheimer Peter“ nannte zwar ein Motiv für den Überfall. „Man will mich vertreiben, denn das Geschäft ist ein interessantes Objekt, wegen der geringen Kosten und mit Blick auf die Fußball-WM“, gab er an. Doch die Angreifer will H. nicht erkannt haben, „da alle so eingepackt waren“.