Die Entdeckung der Stille

Der Wille zum Pop machte Salif Keita berühmt. Doch nun hat er den Reiz des Akustischen entdeckt. Sein neues Album „M’Bemba“ ist erstmals vollständig in Mali entstanden

Als in Frankreich jüngst die Vorstädte brannten, waren unter den Jugendlichen, die dort Autos anzündeten und Geschäfte plünderten, nicht wenige afrikanischer Herkunft. Wie man den Unruhen hätte begegnen sollen, dazu hat Salif Keita eine klare Meinung: Er empfiehlt eine harte Hand. „Die Kinder werden verzogen“, meint er. „Aber eine vernünftige Erziehung ist in Frankreich gar nicht möglich – auch, weil es verboten ist, die eigenen Kinder zu schlagen.“ Dabei schwebt seine unwirklich sanfte Stimme so nebensächlich durch den Raum, dass man kaum glauben mag, dass der so mild wirkende 56-Jährige, der eben zum 14. Mal Vater geworden ist, gerade eben nahe gelegt hat, mit ein paar saftigen Ohrfeigen seien die sozialen Probleme zu lösen.

Natürlich, schränkt Keita ein, habe auch der alltägliche Rassismus seinen Anteil an der Misere, die fehlenden Aufstiegschancen für Migrantenkinder. Benachteiligungen kennt Keita aus eigener Anschauung, denn als nahezu blinder Albino hatte er nicht die allerbesten Startchancen. Als er schließlich auch noch die von seiner adligen Familie für ihn vorgesehene Laufbahn als Lehrer abbrach, um Sänger zu werden, verstieß diese ihn endgültig. Mit Gesang Geld zu verdienen, das war allein in Mali damals allein der Musikerkaste der Griots gestattet. Er aber setzte sich durch, nahm in Kauf, dass sein Vater nicht mehr mit ihm sprach, lebte als Obdachloser auf den Straßen von Bamako und sang auf den Marktplätzen um ein paar Almosen, bevor er sich der legendären „Rail Band“ anschloss.

Ein Vierteljahrhundert später und einer Karriere, die ihn durch die Elfenbeinküste, New York und Paris führte, zählt Keita zu den prominentesten Stimmen Westafrikas. Sein aktuelles Album „M’Bemba“ untermauert diesen Status. „Ich trenne nicht mehr zwischen traditionellen und modernen Elementen“, sagt Keita, „sondern eher zwischen elektronischer oder akustischer Umsetzung.“ Sein neues Album „M’Bemba“ ist ganz eindeutig akustisch geraten: Über Instrumenten wie N’goni und Kora, Oud oder Balafon, über einem meist entspannten Rhythmus erhebt sich wieder die alterslose Stimme Keitas. Federleicht und mühelos schwingt sie sich auf, fliegt davon und lässt alle Probleme hinter sich.

Seine Hinwendung zum akustischen Prinzip hatte Keita bereits 2002 mit „Moffou“ eingeleitet. Doch diesmal hat er erstmals ein Album komplett in Mali, mit lokalen Musikern und Technikern, im eigenen Studio eingespielt. „Wenn man in Afrika ist und die besten afrikanischen Instrumentalisten nicht erst einfliegen lassen muss“, erklärt er, „dann wäre man ja blöde, wenn man sie nicht nutzen würde.“

Daraus spricht auch eine bewusste Abkehr von früheren Pop-Allüren. Denn international bekannt wurde Salif Keita 1987 mit dem Album „Soro“ und dessen Fusion aus afrikanischen Harmonien und Melodielinien mit Elementen aus Jazz und Funk, Pop und R&B. Noch größere Prominenz brachte ihm dann die Zusammenarbeit mit westlichen Größen wie Joe Zawinul oder Vernon Reid, Carlos Santana und Wayne Shorter ein.

Das Prinzip, afrikanische Künstler in Europa ihre Alben aufnehmen zu lassen und ihren Sound mit westlichen Klängen und Gästen aufzumotzen, wurde fortan zum Modell für den Weltmusik-Erfolg. Wenn Keita nun bewusst in seiner Heimat produziert, in die er vor einigen Jahren zurückgekehrt ist, leistet er aber auch Aufbauarbeit. Mit seinem Studio und einer Plattenfirma will er junge Künstler und Musiker fördern: Er will ihnen „die Möglichkeit bieten, das zu erreichen, was ich erreicht habe, ohne weggehen zu müssen“.

Das allerdings ist gar nicht so einfach: „Immer noch gibt es in Mali zu viel Piraterie und Schwarzhandel, aber so gut wie keinen regulären Umsatz und kaum eine Möglichkeit, mit Musik dort Geld zu verdienen. Die Piraterie ist das Hauptproblem, denn deswegen investiert niemand in die Branche. Und es gibt es zu wenig Know-how.“

Als Lösung empfiehlt Salif Keita, der im Gespräch seltsam ätherisch wirkt und nur manchmal einen irrlichternden, nahezu blinden Blick durch seine kaum geöffneten Lider schickt, auch hier wieder ein hartes Durchgreifen: „Es geht nicht ohne staatliche Hilfe“, befindet er. „Alle afrikanischen Regierungen müssen das Problem erkennen, um es gemeinsam zu bekämpfen.“ THOMAS WINKLER