Das Orchester im Hotel Mandé

Als Meister der Kora, der afrikanischen Harfenlaute, hat Toumani Diabaté den Austausch mit Musikern aus aller Welt gesucht. Mit seinem Symmetric Orchestra sucht er nun nach der perfekten Symbiose der diversen Musiktraditionen in Westafrika

Toumani Diabaté stammt aus einer Familie, die auf über 70 Generationen von Koraspielern zurückblickt

Von DOROTHEA PLASS

Das Hotel Mandé am Ufer des Niger bei Bamako, der Hauptstadt von Mali, dürfte bald in die Musikgeschichte eingehen. Der britische Produzent Nick Gold hatte diesen Ort gewählt, um den kürzlich verstorbenen Gitarristen Ali Farka Touré und Toumani Diabaté zusammenzubringen. Ali Farka, der Gitarrist aus dem Norden Malis, und Toumani Diabaté, der Virtuose an der westafrikanischen Kora-Harfenlaute, der tief aus den Traditionen des Mandingue-Volks schöpft, sie hatten beide schon eine Menge internationale Erfahrung gesammelt, als sie sich hier erstmals trafen, um die Grooves ihrer Saiteninstrumente in Einklang zu bringen. Insgesamt drei Alben entstanden hier: Zuerst das Duettalbum „In the Heart of the Moon“, das im vergangenen Jahr erschien und schon mit einen Grammy ausgezeichnet wurde.

Mit „Boulevard de l’indépendance“ folgt nun das zweite Album, das während dieser Hotel-Mandé-Sessions entstand, bevor das letzte Soloalbum von Ali Farka Touré, das im Herbst erscheinen soll, die Quasitrilogie abschließen wird. Ali Farka Touré starb im März diesen Jahres an Krebs, und so markiert die Begegnung im Hotel Mandé auch das letzte Treffen der beiden.

Nach den ruhig fließenden Saitenklängen von „In the Heart of the Moon“ bildet „Boulevard de l’indépendance“ allerdings einen Bruch: Einerseits dreht sich beim Symmetric Orchestra von Toumani Diabaté alles um die Kora, dieses wunderbare Instrument, das der Virtuose im selben Moment zu einer Bassline, zu einer Begleitung oder einer improvisierten Melodie zu animieren vermag. Andererseits hat Toumani Diabaté dazu Musiker aus ganz Westafrika zusammengeholt, die mit westlichen E-Gitarren, Bass und Keyboards, aber auch afrikanischen Ngoni-Lauten und jeder Menge Percussion den Klangradius erweitern. Die 15 bis 20 Mann starke Combo integriert bewusst Musiktraditionen aus der ganzen Region.

„Beim Symmetric Orchestra geht es darum, das alte Reich der Mandé mit musikalischen Mitteln wieder auferstehen zu lassen“, sagt Toumai Diabaté. „Vor 700 Jahren gehörten die Länder, die heute Côte d’Ivoire, Senegal, Burkina Faso, Guinea oder Mali heißen, allesamt zum Reich Mandé. Die Mitglieder des Symmetric Orchestra kommen aus all diesen Ländern und beweisen, dass über die Sprache der Musik heute etwas Neues entstehen kann, das sich auf die Vergangenheit gründet.“

Bandleader Toumani Diabaté gilt in Westafrika als der Großmeister der 21-saitigen Kora und hat mit Musikern auf der ganzen Welt gearbeitet, vom Flamenco bis zum Jazz. Mit seinem Symmetric Orchestra bezieht sich der 40-Jährige nun ganz bewusst auf die Zeit, als die Staaten Westafrikas gerade ihre Unabhängigkeit errungen hatten und die Musik als wichtiger Bestandteil eines neuen afrikanischen Selbstbewusstseins in durchtanzten Nächten gefeiert und später von staatlicher Seite gefördert wurde. Es war die Zeit der großen Tanzorchester, die heute noch einen legendären Ruf genießen.

Die Arbeit mit dem Symmetric Orchestra hat ihn zehn Jahre seines Lebens gekostet. Mit seinem durchaus politischen Ansinnen, die durch die Kolonialzeit zerrissene Region wieder zusammenzuführen, verlangt er auch seinen Musikern viel ab. In stundenlangen Sessions wird solange improvisiert und geprobt, bis sich ein stimmiger Sound ergibt. Mit seinem panafrikanischen Ansatz beschreitet Toumani Diabaté Neuland. „Es hat keinen Wert, zwischen senegalesischer Musik und Instrumenten aus Mali zu unterscheiden“, ist er trotzdem überzeugt. „Die Kora etwa gibt es in Gambia wie in Mali oder Guinea-Bissau. Das sollte auch den zerstrittenen Politikern zu denken geben, denen wir die Kriege und Konflikte hier zu verdanken haben“.

Toumani Diabaté kann sich seinen Stolz auf die afrikanischen Traditionen leisten, schließlich blickt der Sohn des ebenfalls berühmten Sidiki Diabaté auf 70 Generationen von Koraspielern vor ihm zurück. Schon der Vater galt als Innovator, war er doch der erste Koraspieler, der es auf eine Schallplatte schaffte, die in Europa erschien. Das war im Jahr 1970.

Heute spielt Toumani Diabaté als Lehrer und Patron, eine Art Mäzen, in seiner Heimatstadt Bamako auch eine wichtige soziale Rolle. In einem seiner vielen Häuser unterhält er Musiker, die er unterstützt und die als Bandmitglieder für ihn arbeiten. „Ich bin eine Art Ratgeber, weil ich den Okzident genauso gut kenne wie das, was hier vor sich geht. Und ich kann meinen Musikern immer wieder nur sagen: Vergesst nicht, dass ihr Afrikaner seid. Vernachlässigt nicht eure traditionellen Instrumente und auch nicht eure Lebenswirklichkeit!“, mahnt er.

Toumani Diabaté hat oft den musikalischen Dialog mit westlichen Musikern gesucht, auch um seinen Horizont zu erweitern. Das World-Music-Etikett, das solchen Begegnungen angehaftet wird, behagt ihm dennoch nicht. „Ich denke einfach, man will den Afrikanern immer noch keine Chance geben“, ist er überzeugt. „Da macht ein afrikanischer Musiker oder eine afrikanische Gruppe eine Platte, und am Ende fügt ein europäischer oder ein asiatischer Musiker etwas hinzu, vielleicht zehn Prozent, und das nennt man dann World-Music? Was für eine Welt ist das?“