„Ihre These ist grundfalsch“

INTERVIEW HANNES KOCH
UND REINER METZGER

taz: DaimlerChrysler hat den Kodex der Vereinten Nationen unterschrieben, der die Unternehmen zum Schutz der Umwelt verpflichtet. Warum halten Sie sich im wirklichen Leben nicht an dieses Bekenntnis?

Michael Inacker: Das tun wir sehr wohl. Wir halten die zehn Prinzipien des „Globalen Paktes“ ein und betrachten sie als Leitlinien unserer Unternehmenspolitik.

Die UNO verlangt von den Mitgliedsfirmen, eine „größere Verantwortung gegenüber der Umwelt“. Der Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid durch die Fahrzeuge der Mercedes-Car-Group nimmt jedoch unentwegt zu. Ist das kein Widerspruch?

Da konstruieren Sie etwas. Es ist im Gegenteil so, dass wir in den vergangenen zehn Jahren den Treibstoffverbrauch und Schadstoffausstoß deutlich verringert haben. Unsere Fahrzeuge emittieren heute im Durchschnitt 30 Prozent weniger Kohlendioxid als 1990, die anderen Emissionen wurden in dieser Zeit teilweise um über 90 Prozent vermindert. Und wir arbeiten kontinuierlich an ökologischen Verbesserungen. Dem dienen beispielsweise Forschungsausgaben von 6 Milliarden Euro im Jahr. Das sind 16 Millionen Euro pro Tag.

Die einzelnen Fahrzeuge werden im Durchschnitt zwar sauberer. Andererseits verkaufen Sie aber doppelt so viele Wagen wie vor zehn Jahren. In der Summe dürfte der Schaden für das Weltklima, den Sie verursachen, um etwa 70 Prozent zugenommen haben.

Hinter Ihre Rechnung möchte ich ein dickes Fragezeichen machen, denn das ist keine so einfache Gleichung. In Deutschland beispielsweise hat die von Fahrzeugen verursachte Umweltbelastung insgesamt abgenommen. Und zum CO2-Ausstoß trägt der gesamte Verkehr nur zu 20 Prozent bei.

Aber nur weil Sie hier ein geringes Wachstum beim Verkauf zu verzeichnen hatten. In anderen Teilen der Welt sieht das ganz anders aus.

Das ist eine äußerst komplizierte Rechnung. Sie müssen ganz genau wissen, wie viele Fahrzeuge von welchen Typen in welchem Land dieser Welt verkauft werden. Sonst können Sie solche Überlegungen gar nicht anstellen. Vor voreiligen Schlüssen kann ich nur warnen.

Die genauen Zahlen stellt DaimlerChrysler der Öffentlichkeit nicht zur Verfügung. Bestreiten Sie grundsätzlich, dass Ihre Produkte eher mehr als weniger zur globalen Klimaerwärmung beitragen?

Allerdings, diese These ist grundfalsch. In China, Indien und anderen Ländern wächst die Bevölkerung, und der Wohlstand nimmt zu. Damit steigt auch die Zahl der Leute, die sich ein Auto kaufen. Sollen wir uns anmaßen, anderen Völkern zu verbieten, die Lebensqualität nachzuholen, die wir schon erreicht haben? Gleichzeitig bedeutet jeder Kauf eines neuen Fahrzeugs aus europäischer Produktion eine Verbesserung, da alte Fahrzeuge vom Markt genommen werden. Letzten Endes hat Individualverkehr ja auch etwas mit dem Freiheitsgrad einer Gesellschaft zu tun.

Es geht nicht darum, den Chinesen das Autofahren zu verbieten, sondern die Veränderung des Klimas und ihre Folgen einigermaßen im Griff zu behalten. Dafür – das ist wissenschaftlicher Konsens – muss der Ausstoß an Klimagasen sinken und darf nicht weiter steigen.

Was Sie sagen, läuft doch darauf hinaus, dass entweder wir als Unternehmen oder die Politik Obergrenzen für die Produktion von Fahrzeugen einführen müssten. Nicht jeder, der es sich leisten kann, könnte dann ein Auto kaufen. Und Wachstum, die Grundlage der Marktwirtschaft, wäre nicht mehr möglich, genauso wenig wie die Forschung an neuen Motoren und Energiequellen.

Warum arbeiten Sie nicht daran, die Umweltauswirkungen Ihres Tuns wenigstens stabil zu halten und den Zuwachs beim Autoabsatz durch eine entsprechende Reduzierung des Schadstoffausstoßes auszugleichen?

Das Wirtschaftswachstum in Märkten wie China oder Indien ist viel zu rasant. Gleichzeitig werden dort aber die Umweltstandards an die strengen europäischen Normen angeglichen. Ein gewaltiger Fortschritt.

Die Deutsche Umwelthilfe argumentiert, dass Sie die möglichen Effizienzsteigerungen nicht ausschöpfen. Leichtere Fahrzeuge, weniger Benzinverbrauch, bessere Filter – all das sei technisch kein Problem. Stimmt das?

Das hört sich immer gut an. In der Praxis sieht aber vieles anders aus. Wollen Sie auf Sicherheitstechnik verzichten, die Sie und Ihre Familie bei Unfällen schützt? Die Sicherheitsauflagen machen die Fahrzeuge schwerer. Damit steigt der Verbrauch, um die gleiche Leistung zu erzielen. Es ist wie beim 100-Meter-Lauf, wenn Sie um die letzte Hundertstelsekunde kämpfen – die sind am schwierigsten zu erreichen.

Den durchschnittlichen Benzinverbrauch Ihrer Fahrzeuge weiter zu senken wäre nicht schwer. Niemand zwingt Sie, Geländewagen zu verkaufen, die 17 Liter Benzin auf 100 Kilometern verbrauchen.

Wir stehen in der Konkurrenz zu anderen Unternehmen und sind daher nicht ganz frei in der Entscheidung, was wir produzieren. Geländewagen sind ein wichtiges Marktsegment. Deshalb wäre es falsch, ein bestimmtes Produkt einzustellen. Es geht darum, dieses Segment weiterzuentwickeln und sich mit zusätzlichen Verbrauchsreduzierungen ökologisch zu positionieren. Gerade bei den von Ihnen genannten Geländewagen ist uns das mit der Einführung der umweltschonenderen Dieseltechnologie schon gelungen. Das zeigen die Verkaufserfolge in den Vereinigten Staaten deutlich.

Wie verträgt es sich mit dem Umweltprinzip des Globalen Paktes, dass DaimlerChrysler gegen ein Gesetz des Staates Kalifornien klagt? Gouverneur Schwarzenegger will den Spritverbrauch für Neuwagen ab 2009 auf maximal 8,4 Liter pro 100 Kilometer begrenzen.

Natürlich sind wir bereit, Gesetze zu akzeptieren. Wir haben keine Probleme mit verbindlichen Standards für Benzinverbrauch und Schadstoffausstoß. Aber wir wollen vermeiden, dass jeder Bundesstaat in den USA seine eigenen Regularien festlegt. Dann haben wir plötzlich verschiedene Standards in verschiedenen Regionen, die wir als weltweiter Automobilhersteller gar nicht erfüllen können und die hohe Kosten verursachen.

Geht es Ihnen nicht eigentlich darum, Ihre PS-starke S-Klasse und die Geländewagen ohne Probleme weiter verkaufen zu können?

Nein. Wir bevorzugen einheitliche Grenzwerte, damit wir wissen, woran wir sind. Das gilt auch für die Debatte um den Feinstaub aus Dieselmotoren in Deutschland. Es hat doch keinen Sinn, dass jede Großstadt ihre eigenen Grenzen festsetzt und wir uns damit zum mittelalterlichen Marktrecht zurückentwickeln.

Mit einem Umweltgesetz hat Kalifornien schon einmal eine Vorreiterrolle übernommen. Gegen den Widerstand der Automobilhersteller begann dort der Siegeszug des Abgas-Katalysators. Mit seiner Klage gegen die Obergrenzen beim Benzinverbrauch versucht DaimlerChrysler nun erneut, ökologischen Fortschritt zu verhindern.

Den Grund für unser Vorgehen habe ich genannt. Ihre Unterstellung ärgert mich. Wenn Gewerkschaften, Kirchen und Umweltorganisationen ihre Interessen wahrnehmen, dann scheint das moralisch in Ordnung zu sein. Als unzulässiges Lobbying gilt es hingegen, wenn Unternehmen auf ihre Anliegen hinweisen. Es ist unser gutes Recht, mit der Politik ein Gespräch über das Verhältnis von Kosten zu Nutzen und die technische Machbarkeit zu führen. Zudem sind mehrere ökologische Technologien im Wettbewerb – weder wir noch die Politik wissen heute, welche Technik sich in zwanzig Jahren durchsetzen wird.

taz: Auch auf europäischer Ebene wenden Sie sich gegen schärfere Regulierungen durch die Politik. DaimlerChrysler will niedrigere Grenzwerte für den Ausstoß von Stickoxiden aus Dieselmotoren auf die lange Bank schieben. Geht es darum, dass Sie Ihren Kunden die 300 zusätzlichen Euro für den effizienten Stickoxidfilter nicht zumuten wollen, weil Sie Absatzschwierigkeiten wegen der höheren Preise befürchten?

Keineswegs. Wir müssen in unseren Werken erst die technischen Voraussetzungen schaffen, um die großen Stückzahlen sauberer Dieselfahrzeuge für den europäischen Markt zur Verfügung stellen zu können. Das ist natürlich auch eine Kostenfrage, aber wir haben gesagt, dass wir Motoren mit Stickoxidfilter bis 2008 in Europa einführen.

Diejenigen, die von einer Verantwortung der Unternehmen für das große Ganze nicht viel halten, fassen ihre Einschätzung in dem Satz zusammen: „The business of business is business.“ Unternehmen sollen sich darum kümmern, Geld zu verdienen – basta. Sehen Sie das auch so?

Das ist falsch, ganz falsch.

Warum?

Weil ein Unternehmen nur dann auf dem Markt der Produkte langfristig und nachhaltig erfolgreich sein kann, wenn es auch auf dem Markt der Meinungen und Wertschätzungen besteht. Dies bedeutet aber, dass Unternehmen sich ethisch verantwortlich in den gesellschaftlichen Prozess einbringen müssen und gegen soziale und ökologische Fragestellungen nicht gleichgültig sein dürfen. Und auch so genannte ethische Rankings werden immer wichtiger, in denen Investmentfonds und Banken nicht nur die finanzielle, sondern auch die ökologische Leistung der Unternehmen bewerten.

Gibt es so etwas wie einen ethischen Anteil an Produkten, und nimmt dieser Anteil zu?

Das glaube ich nicht. Produkte an sich sind weder gut noch böse. Wie man Produkte bewertet, hängt davon ab, ob wir verantwortungsvoll mit ihnen umgehen oder nicht und in welche Strategie diese eingebettet sind. Allerdings spielt der Ruf eines Produkts und seines Produzenten durchaus eine Rolle bei der Kaufentscheidung der Verbraucher. Und dieser Ruf hängt auch vom Engagement des Unternehmens in der Gesellschaft ab. Deswegen ist es für uns äußerst wichtig, dass unsere Produkte den höchsten sozialen und ökologischen Standards entsprechen.

Mitarbeit: Florian Hollenbach