Der Prozent-Krimi

VON BARBARA DRIBBUSCH

Nach mehr als drei Monaten Streik ist es in den Tarifgesprächen zwischen den Bundesländern und der Gewerkschaft Ver.di über verlängerte Arbeitszeiten im öffentlichen Dienst gestern zu einer Einigung gekommen. Das erklärten die Verhandlungspartner.

Nachdem es aus Gewerkschaftskreisen geheißen hatte, man sei zu einer Vereinbarung gelangt, sagte der Verhandlungsführer der Länder, Hartmut Möllring, am späten Nachmittag: „Wenn Ver.di das so sagt, dann ist es so.“ Details der Einigung sollten auf einer Pressekonferenz am Abend nach Redaktionsschluss verkündet werden. Arbeitgeber und Arbeitnehmer stritten seit Monaten um die Verlängerung der Arbeitszeit für die 800.000 Beschäftigten der Behörden und Unternehmen der Bundesländer sowie um die Höhe von Urlaubs- und Weihnachtsgeld.

Wie aus Verhandlungskreisen verlautete, beinhaltet die Einigung nun komplizierte Prozentrechnungen, nach denen die Wochenarbeitszeit in den Bundesländern von bisher tariflichen 38,5 auf knapp unter 40 Stunden angehoben wird. Die Nachrichtenagentur erfuhr gestern Nachmittag zudem von Insidern, dass die nun gefundene Lösung auf unterschiedliche durchschnittliche Wochenarbeitszeiten in den jeweiligen Bundesländern hinauslaufe.

Dazu solle in jedem Bundesland die real existierende durchschnittliche bisherige Wochenarbeitszeit ermittelt werden, hieß es. Diese liegt derzeit in einem Korridor zwischen 38,5 Stunden für Arbeiter und Angestellte mit alten Verträgen und bis zu 42 Stunden für bisher nicht tarifgebundene neu Eingestellte. Die Verhandlungspartner einigten sich laut AP auf einen feststehenden Schlüssel, über den in jedem Bundesland die Arbeitszeit nach Prozentpunkten erhöht wird.

Gewerkschaftsvertreter sagten, damit müssten vor allem Besserverdiener künftig länger arbeiten, während in unteren Gehaltsgruppen die Arbeitszeit gesenkt werden könne. Aus dem Arbeitgeberlager war allerdings gestern am Spätnachmittag zu erfahren, nach Gehalt gestaffelte Abschlüsse würden nicht verhandelt.

Eine Einigung im Tarifstreit wurde vor allem durch die sogenannte Meistbegünstigungsklausel erschwert. Diese Klausel sieht vor, dass neue Arbeitszeiten, die für die Landesbediensteten vereinbart werden, auch ohne Tarifverhandlungen für die Beschäftigten aller Städte und Gemeinden im Westen zu gelten haben, wenn sie für die Arbeitgeber „günstiger“ sind.

Möllring erklärte gestern jedoch, es werde eine Lösung ohne diese Klausel geben. Dies könnte geschehen, indem in den unteren Gehaltsgruppen für die Arbeitnehmer besonders günstige Arbeitszeiten vereinbart werden. Die Kommunen würden sich mit einer solchen Vereinbarung nicht besser stellen als bisher, denn dort arbeiten mehr Beschäftigte in den unteren Gehaltsgruppen, während sich in den Behörden und Einrichtungen der Länder mehr besser verdienende Angestellte finden.

Die Klausel wird aber auch durch die Ermittlung von realen durchschnittlichen Arbeitszeiten möglicherweise nicht ausgelöst. Während nämlich in den Ländern schon viele Bedienstete länger als 38,5 Stunden arbeiten, ist das in den Kommunen des Westens weniger der Fall. Ein Tarifvertrag, der die Ermittlung von durchschnittlichen Arbeitszeiten vorsieht, würde daher in den Kommunen möglicherweise kaum zu tatsächlich längeren Arbeitszeiten führen.

Dem gestrigen Tarifpoker vorausgegangen ist ein mehrwöchiger Arbeitskampf. Provoziert hatten den Ausstand die Arbeitgeber der Länder, die im März 2004 die alten Arbeitszeitrichtlinien gekündigt hatten. Damit galt im Westen nur noch für Altbeschäftigte die 38,5-Stunden-Woche. Neueingestellte wurden hingegen nur noch mit Verträgen zu 40 und mehr Wochenstunden beschäftigt.