Hände schreiben Geschichte

Der New Yorker Künstler Henry M. Buhl hat eine Leidenschaft für Hände. Das Essener Folkwang Museum zeigt 188 seiner gesammelten Fotografien: Sie bezeugen Persönlichkeiten und Geschichte

VON KATJA BEHRENS

Hände werden erhoben und geküßt, werden gebunden und abgeschlagen, gereicht, gerungen und gefaltet, geschüttelt und geschmückt – und fotografiert. Mit ihnen kann man drohen und bitten, zeigen und beschützen, spielen, halten, sprechen, schlagen und liebkosen.

Die Ausstellung „Speaking with Hands“ in der Neuen Galerie des Folkwang Museums, zeigt einen Ausschnitt aus der Fotosammlung des New Yorker Sammlers Henry M. Buhl. Heute ist der gesellschaftspolitisch engagierte Mann vor allem als Gründer eines seit 1992 erfolgreichen Arbeitstrainings- und Arbeitsvermittlungsprogramms für wohnungslose Männer und Frauen, das SoHo Partnership, bekannt. Seine Leidenschaft für Hände aber ist eher zufällig gewachsen. Freundlich erzählt er, wie er sich 1993 nach dem günstigen Kauf von Alfred Stieglitz‘ Fotografie mit Georgia O‘Keeffes Händen (“Hands with Thimble“, 1920) von seiner Beraterin habe ermutigen lassen, Fotos von Händen zu sammeln.

Das Folkwang Museum präsentiert in der vom New Yorker Guggenheim organisierten Ausstellung nun insgesamt 188 Fotografien von 1850 bis 2004. Bilder sind hier zu finden voll bitterer Ironie und fröhlicher Albernheit, makaberer hochglänzender Deutlichkeit oder schwarz-weiß verschwommener Andeutung, von wundersamer Schönheit und eitler Koketterie. Was aber ist der tiefere Sinn einer derart auf ein Motiv konzentrierten Präsentation? Das Museum, so die vorangestellte Erklärung, „widmet sich immer wieder auch der Begeisterung und Leidenschaft privater Sammler und Sammlerinnen für das fotografische Bild.“ Damit ist die Frage nach dem Konzept der Ausstellung nur unbefriedigend beantwortet. Für Ute Eskildsen, Leiterin der Fotografischen Sammlung, war die herausragende Qualität und fotografiehistorische Bedeutsamkeit der Bilder zentrales Kriterium, erneut eine motivgeschichtliche Ausstellung zu zeigen. Die Sammlung Buhls sei ein „Lehrstück“ zur veränderten Materialästhetik, sie versammle die großen Meister der Fotografiegeschichte.

Tatsächlich sind hier wunderbare Bilder zu finden. Gelatine-Silber-Drucke von Robert Frank und Helen Lewitt, Platinum-Prints von Edward Weston, oder die frühen pornographischen Stereo-Daguerrotypien eines unbekannten Fotografen (“Studie einer sitzenden verschleierten Frau“, 1854). Irgendwie ist die Hand immer beteiligt, selbst dort, wo sie nicht das Hauptmotiv ist. Neben Arbeiten von Fotojournalisten, die die rhetorischen Gesten und kulturellen Konventionen unserer Gesellschaft offenlegen, gibt es die technisch-formalen Experimente der Bauhauskünstler und Surrealisten. Die Bilder der frühen Avantgarden mischen sich in der locker gegliederten Schau mit den großformatigen Fotografien Tina Barneys, Künstlerinnen verhandeln Konzepte oder bringen die eigenen Hände ins Spiel. Schnappschüsse bilden historische Momente ab. Ein berühmtes Foto Elliott Erwitts, auf dem der amerikanische Vizepräsident Richard Nixon seinem offenbar gänzlich unbeeindruckten Gegenüber Nikita S. Chruschtschow den ausgestreckten Zeigefinger aggressiv in die Brust stößt, wurde schon bald nach seiner Veröffentlichung 1959 als ein Symbol für den Kalten Krieg wahrgenommen – und 1960 von westlichen Wahlkampf-Strategen umgedeutet in ein Zeugnis für den us-amerikanischen furchtlosen Standpunkt gegenüber dem Kommunismus.

Eines der eindrucksvollsten und traurigsten Handbilder ist aber wohl eine großformatige Aufnahme, die Gilles Peress 1993 im französischen Hospital in Sarajevo gemacht hat: Ein Menschenkörper auf einem weißen Krankenbett. Dort, wo die beiden Hände einst waren, sind nur noch zwei narbige Stümpfe zu sehen. Ihr Fehlen macht die Hände erst wirklich sichtbar.

Bis 30. Juli 2006