rottweiler können kein irisch von RALF SOTSCHECK
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Der irische Staat interessiert sich für das Privatleben seiner Schäfchen. Zu diesem Zweck veranstaltet er alle paar Jahre eine Volkszählung, bei der man über Wohnsituation, Bildungsstand, Gesundheit, Aufstehgewohnheiten und allerlei Intimes Auskunft geben muss. Andernfalls drohen 25.000 Euro Geldstrafe.

Mein Freund Robert hatte sich als Volkszähler beworben, und weil er pensionierter Mathematikprofessor ist, beförderte man ihn sogleich zum Teamleiter: Er bekam elf Studenten und Studentinnen zugeteilt und musste deren Einsatzgebiete koordinieren. Er selbst konnte auf seiner Gartenbank abwarten, ob irgendein Notfall es erforderlich machte, dass er einspringen musste.

Selbstverständlich gab es einen Notfall. Sharon, eine Studentin, war für die Cross Guns Apartments in Norddublin eingeteilt, eine ehemalige Getreidemühle, die vor einigen Jahren in teure Yuppie-Wohnungen umgebaut worden war. Einer der Yuppies stammte offenbar von einem Rottweiler ab. Jedenfalls knallte er ihr die Tür vor den Latz und brüllte, dass sie sich ihren Fragebogen rektal verabreichen könne – er beschrieb es etwas anschaulicher. Nun musste Robert ran.

Volkszähler hassen Apartmentblocks, weil sie wie Hochsicherheitstrakte abgeschirmt sind, damit kein Unbefugter hineinkommt. Und auch kein Volkszähler. Zwar gibt es Klingeln, aber selbst wenn man per Türöffner hineingelassen wird, kommt man nicht weiter als in ein Foyer. Die zweite Tür zum Treppenhaus kann nur mit einem Schlüssel geöffnet werden, doch bequemt sich niemand für einen Volkszähler nach unten. Robert musste eine halbe Stunde warten, bis ein Bewohner nach Hause kam und er hinter ihm durch die zweite Tür schlüpfen konnte.

Das bereute er sogleich. Der Rottweiler aus Apartment 61 erklärte lautstark, dass er die Tür keineswegs öffnen werde. Robert tippte auf Damenbesuch, der geheim bleiben sollte. Am Stichtag muss man sich nämlich dort in den Fragebogen eintragen, wo man sich gerade aufhält, auch wenn es ein Hotel, ein Krankenhaus oder eine Ausnüchterungszelle ist. Robert wusste, dass bei dem Rottweiler nichts zu machen war. Macht nichts, dachte er sich, dafür gibt es ein Formblatt, und zwar mit der dringenden Aufforderung, den Fragebogen umgehend per Post zurückzuschicken. Robert schob es unter der Tür durch. Das Gleiche tat er ein paar Türen weiter, wo die Volkszähler schon dreimal niemanden angetroffen hatten. Im letzten Moment bemerkte er, dass er die irische Version des Mitteilungsblattes unter die Tür geschoben hatte. Irisch ist zwar erste Landessprache, wird aber nur noch von wenigen Menschen gesprochen. Ob er etwa auch bei dem Rottweiler …?

Er hatte. Der Mann stürzte aus der Wohnung und wedelte aufgebracht mit dem Zettel. „Ihr wollt mich wohl verarschen“, giftete er, „ich habe bei der letzten Volkszählung vor vier Jahren angekreuzt, dass ich kein Irisch kann. Glaubst du etwa, ich habe es in der Zwischenzeit gelernt?“ Robert warf ihm die englische Version vor die Füße und machte sich aus dem Staub. Als er in Sicherheit war, füllte er den Fragebogen für den Rottweiler nach Gutdünken aus. Bei der Frage nach der Gesundheit trug er „Choleriker“ ein.