Umbruch vollendet

Nach dem Sieg gegen Hamburg ist dem THW Kiel der Titel des deutschen Handballmeisters kaum mehr zu nehmen

KIEL taz ■ Ein fröhliches Lied war notwendig, um kurz vor dem Spielende doch noch eine Stimmung zu erzeugen, die eines zukünftigen Meisters würdig ist. Erst als aus den riesigen Lautsprechern in der Kieler Ostseehalle die Partyhymne „Stand up for the champions“ ertönte, erhoben sich die 10.250 Zuschauer von ihren Plätzen und ließen ihrer bis dahin weitgehend zurückgehaltenen Glückseligkeit und ihrer Vorfreude auf den zwölften Titelgewinn des THW Kiel freien Lauf. „Deutscher Meister wird nur der THW!“ hallte es, akustisch untermalt durch rhythmisches Klatschen, in den letzten zwei Minuten der Partie gegen den HSV Hamburg von den Rängen. Für eine frenetische Festtagsstimmung reichte die Freude über den schwer erkämpften 36:33-Sieg gegen einen widerspenstigen und sehr robust agierenden HSV und den De-facto-Gewinn des Titels – zur Beseitigung letzter Zweifel fehlt den Kielern noch ein Punkt – dennoch nicht. Es war eher eine Last-Minute-Gala mit freiwilliger Selbstkontrolle.

Auch die Spieler um Kapitän Stefan Lövgren schlossen sich der Maxime an, dass man Feste erst feiern sollte, wenn diese nicht mehr durch äußere Einflüsse abgesagt werden können. Sie gaben ihren Fans aber zumindest einen kleinen Vorgeschmack auf die inoffizielle Party, die nach dem morgigen Heimspiel gegen den TBV Lemgo steigen soll, und auf die offizielle Feier auf dem Kieler Rathausplatz, die für den 3. Juni im Anschluss an das Heimspiel gegen den VfL Gummersbach vorgesehen ist. Als die Schlusssirene ertönte, formierte sich auf dem Spielfeld ein schwarz-weiß gekleidetes Knäuel aus tanzenden, lachenden und hüpfenden Kieler „Zebras“. Vielleicht eine halbe Minute lang rotierte der Tanzkreis um die eigene Achse, dann war wieder business as usual angesagt.

Allen war bewusst, dass jetzt nichts mehr schief gehen könnte. Drei Punkte hatten dem THW vor dem Spiel gegen den HSV zum Erreichen des großen Ziels noch gefehlt. Jetzt ist nur noch einer notwendig – wenn überhaupt. Kiel müsste in den letzten drei Partien der Saison (gegen Lemgo, Magdeburg und Gummersbach) schon jeweils untergehen, damit der vier Pluspunkte entfernte Tabellenzweite SG Flensburg-Handewitt noch am Rivalen vorbeiziehen kann. Das erscheint vollkommen unrealistisch zu sein, zumal sich bei den Kielern drei Spieltage vor dem Ende der Saison gerade einmal vier Minuspunkte angesammelt haben. Nur einmal rutschten die Zebras aus: In Minden verloren sie am 12. Dezember mit 30:32. Dazu kam noch eine Niederlage in Flensburg – das war’s. „Wir haben von 31 Spielen gerade einmal zwei verloren. Ich glaube nicht, dass wir von den letzten drei Partien jetzt alle drei verlieren werden“, sagte THW-Coach Noka Serdarusic. Der als sehr vorsichtig geltende Kieler Erfolgscoach widersprach nicht einmal HSV-Manager Dierk Schmäschke, als dieser ihm bereits zum Gewinn der Meisterschaft gratulierte.

Serdarusic lächelte milde. Er genoss die Genugtuung, dass er es seinen Kritikern auch im 13. Jahr als Cheftrainer beim THW wieder einmal gezeigt hat. „Man hat vor der Saison viel erzählt. Es hieß, in Kiel sinke das Schiff bald, dort sei bald tote Hose. Aber so ist es nicht gekommen“, sagte Serdarusic. Der Umbruch im Team sei erfolgreich vollzogen worden. „Ich habe in zwei Jahren zehn neue, junge Spieler in die Mannschaft eingebaut, und dabei hatte man mir vorgeworfen, dass ich nur mit erfahrenen Leuten arbeiten könnte.“

Zum Beginn der Saison sei es in seinem neu formierten Team noch nicht wie gewünscht gelaufen, doch mit zunehmender Spielpraxis sei es immer besser gegangen. „Das Team hat sich ständig weiterentwickelt“, sagte Serdarusic. Gerade vor dem Hintergrund, dass er erst noch eine Mannschaft hatte bilden müssen, stelle die diesjährige Meisterschaft im Vergleich zu den acht bisher erreichten Titeln mit dem THW etwas Besonderes dar.

Auch Stefan Lövgren glaubt nicht mehr daran, dass Kiel jetzt noch den Meistertitel verspielen könnte. „Wenn das passiert, lacht uns ganz Deutschland, ganz Europa aus.“ Auch für ihn, in seiner integrierenden Funktion als Kapitän, sei der Titelgewinn an der Seite von neuen Mitspielern etwas Spezielles. „Die Erfolge aus den vergangenen Jahren sind Schnee von gestern. Ich schaue mir gerne mal die Medaillen in meinem Schrank an, das sind schöne Erinnerungen, aber so etwas hilft dir nicht in der neuen Saison“, sagte Lövgren.

Die Zuschauer verließen derweil in der Gewissheit die Ostseehalle, dass die richtige Feier erst noch stattfinden wird. Eine freiwillige Selbstkontrolle wird es dann mit Sicherheit nicht mehr geben. CHRISTIAN GÖRTZEN