DIE GESELLSCHAFTSKRITIK
: Die Internetfischer

WAS SAGT UNS DAS? Die US-amerikanische Ausgabe der Frauenzeitschrift „Elle“ ruft den Nordkorea-Schick aus und erntet dafür virtuellen Hass

Wäre Twitter ein greifbarer Gegenstand, dann wäre es ein engmaschiges Fischernetz. Eines jener fiesen Sorte, dass die dicken Fische will, aber viel häufiger die ganz kleinen abfängt, an denen so wenig Fleisch ist, dass sie sofort im Müll landen. So ähnlich funktioniert die Empörung bei Twitter. Die großen Fische sind die, die tagelang so viel Aufmerksamkeit erregen, dass sie sogar bei Jauch auf der Couch landen. #aufschrei war so ein Fall – der Thunfisch unter der Empörung. Viel zahlreicher sind allerdings die kleinen Entrüstungsfischchen, über die ein bisschen Hass ausgeschüttet wird, der ganz schnell verpufft.

Aktuellstes Beispiel: die US-amerikanische Elle. Seit zwei Tagen zappelt die Frauenzeitschrift im Netz der Twitterer, weil sie den Herbst zum „Nordkorea-Schick“ ausgerufen hat: Camouflagehose (425 US-Dollar), kombiniert mit Lackpumps zum Beispiel. Das trägt in Nordkorea natürlich kein Mensch. Trotzdem ist die Twitter-Empörung groß: „Elle flirtet mit dem Faschismus“, „ein Anzeichen für die nahende Apokalypse“. Also bitte.

Natürlich ist es geschmacklos und ekelhaft, eine Modestrecke mit Nordkorea zu bewerben, einer der menschenverachtendsten und restriktivsten Diktaturen der Welt. Deswegen in schreiende Hysterie zu verfallen, ist aber auch übertrieben. Werbefachmenschen kennen den Satz: „Egal was du über mich schreibst, Hauptsache, du schreibst meinen Namen richtig“, und genau darum geht es hier: Aufmerksamkeit um jeden Preis. Die Elle dürfte sich über diese Tweets freuen. Der Nordkorea-Schick ist schon drei Monate alt, bisher hatte sich nur niemand dafür interessiert. Erst jetzt, wo einige übereifrige Internetfischer die Zeile entdeckt haben, kommt die Empörung ins Wallen und beschert der Webseite Klickzahlen. Twitterer, die Pedantenfischer: Kein Skandälchen, kein Verstoß gegen die politische Korrektheit entgeht ihnen. Dabei täte manchmal ein bisschen bedachteres Fischen gut. Bei zu vielen kleinen Fängen interessiert sich nämlich niemand mehr für den ganz großen Fang. ANNE FROMM