Wolfsburger Sonderweg

KUNSTPREIS Das traut sich kaum wer: Mit dem „arti“ wendet sich der Kunstverein Wolfsburg an Profis und Amateure gleichermaßen. Neuerdings prämiert man zudem Arbeiten von Kindern und Jugendlichen

Ein bewusster Schwerpunkt ist die Rückbindung der Kunst an Politik und Ökonomie

Vor drei Jahren zeichnete die Arbeitsgemeinschaft der deutschen Kunstvereine und die Messe „Art Cologne“ den Kunstverein Wolfsburg aus – unter anderem für dessen 2006 erstmals vergebenen eigenen Kunstpreis: den „arti“. Der richtet sich alle zwei Jahre an die lokale Kunstszene, und zwar an Professionelle wie Amateure gleichermaßen. Nun wurde er zum dritten Mal vergeben, und bei dieser dritten Runde waren die Teilnahmebedingungen präzisiert worden: Der Lebensmittelpunkt der Bewerber muss Wolfsburg sein.

Nach Angaben des dortigen Kunstvereins hat sich bislang kein weiterer im Norden in derartiges Terrain vorgewagt: Andernorts scheint Kunst nur preiswürdig, wenn sie bereits anerkannt ist und von außerhalb – mindestens aus Berlin. Weshalb aber gehen die Wolfsburger einen anderen Weg? Teilweise lässt sich das aus der Geschichte des Vereins erklären: Dieser ist noch um einiges jünger als die Stadt selbst und feierte 2009 sein 50-jähriges Bestehen. Da findet sich also keine lange bildungsbürgerliche Tradition, aber auch nicht die Betulichkeit, wie sie vergleichbare Organisationen in so mancher – nicht nur norddeutschen – Großstadt lähmt.

Ein bewusster Schwerpunkt der aktuellen Arbeit ist die Rückbindung der Kunstwerke an die politischen und ökonomischen Systeme ihrer Erstellung. Diese Haltung ist nicht nur dem Werden der jungen Industriestadt geschuldet, sie setzt sich auch ab vom Hochkulturbetrieb des dortigen Kunstmuseums.

Den inhaltlichen Rahmen formuliert im Verein ein Jahresthema, das Populär- bis Subkulturelles ebenso reflektiert wie die soziale Relevanz: „Beyond Generations“ untersuchte 2009 das Phänomen, dass kulturelle Entwicklungen sich nicht mehr auf der Grundlage wechselnder Generationen erklären lassen. In diesem Jahr befasst man sich nun – anhand des Wortpaars „Spekulation und Spektakel“ – mit Pseudowelten in Gegenwart und Zukunft. Das klingt alles mitunter ein wenig nach dem Poststrukturalismus französischer Schule, ist aber mittlerweile eben auch das Markenzeichen des Kunstvereins unter der Ägide von Justin Hoffmann.

Von diesem stammt auch die Idee für den „arti“, der beweisen soll, dass Wolfsburg eine vitale Kunstszene beherbergt, die Arbeiten von hoher Qualität produziert. 2010 gehen Justin Hoffmann und sein Team noch einen Schritt weiter: Erstmals ausgeschrieben worden ist gerade der „arteen“. Die Ergebnisse dieses Kunstpreis für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren sollen im August ausgestellt werden.

„Was wäre wenn?“, so lautete das diesjährige „arti“-Thema und inspirierte stolze 54 Einreichungen. Neun davon stellte eine Jury aus Vertretern von Institutionen und Kunsthandel zu Shortlist und Ausstellung zusammen. Eine von mehreren echten Entdeckung ist die Serie der beiden jüngsten – wenn auch nicht prämierten – Teilnehmer: Die Gymnasiasten Esther Neumann, Jahrgang 1993, und Jörn Fleger, Jahrgang 1994 ermitteln in ihren Fotomontagen, was wäre, wenn alle Menschen gleich aussähen: Hässlicher, so viel lässt sich sagen, wäre die Welt nicht! BETTINA MARIA BROSOWSKY

Ausstellung „arti“: bis 15. August, Kunstverein Wolfsburg; ab dem 5. August werden zusätzlich Arbeiten des „arteen“-Preises gezeigt