: Politik und Justiz machen Hühnerbaronen Dampf
TIERSCHUTZ Nordrhein-Westfalen prescht vor: Eintagsküken-Tötung soll untersagt werden
BERLIN taz | Nicht nur die Bruderhahn-Initiative (siehe Text rechts), auch die Politik sorgt für frischen Wind im Hühnerstall. Nach Jahrzehnten des Stillstands, in denen der millionenfache Kükentod wie ein unvermeidbarer Kollateralschaden hingenommen wurde, ist seit diesem Herbst viel in Bewegung in Sachen Hühnerzucht.
Nordrhein-Westfalen will jetzt ernst machen und hat als erstes Bundesland seine Ordnungsbehörden angewiesen, den Brütereien, in denen männliche Eintagsküken getötet werden, „diese Praxis zu untersagen“. Der grüne Umwelt- und Landwirtschaftsminister Johannes Remmel nennt das massenhafte Töten eine „absolute Grausamkeit – hier werden Lebewesen zum Abfallprodukt“. Noch in diesem Monat, sobald die derzeit laufende Anhörung der NRW-Brütereien abgeschlossen ist, könnte der Erlass in Kraft treten, hieß es in seinem Ministerium. Dann bekommen die Betriebe eine Übergangsfrist von einem Jahr, um eine Lösung zu finden.
Auch Niedersachsen – als Intensivagrarland Nummer eins eine echte Hühnerhochburg – will jetzt rechtliche Schritte prüfen.
Anlass für den politischen Wirbel ist ein Weckruf der Staatsanwaltschaft Münster. Die hatte im September ein Ermittlungsverfahren gegen eine NRW-Brüterei zwar eingestellt, doch gleichzeitig Klartext geredet. Dem Betrieb könne zwar zugute gehalten werden, dass die Behörden die übliche Tötungspraxis bei Küken tolerieren und deshalb ein „Verbotsirrtum“ vorliege – auf Deutsch: Die Brüterei konnte nicht wissen, dass Küken vergasen eine Straftat ist. Grundsätzlich sei die Massentötung von Eintagsküken nach Paragraf 17 Tierschutzgesetz aber strafbar, so Oberstaatsanwalt Heribert Beck. Der Paragraf sagt, dass kein Wirbeltier „ohne vernünftigen Grund“ getötet werden darf.
Sollte eine erneute Klage anhängig werden, so Beck zur taz, könne ein Verbotsirrtum nicht mehr greifen. Das klingt fast wie eine Einladung an den Tierschutz, mit neuen Klagen nachzufassen.
„Die Aussagen der Staatsanwaltschaft sind einfach sensationell“, sagt die bekannte Agrarexpertin Anita Idel und: „Eigentlich müssen wir das Huhn jetzt komplett neu denken.“
Inzwischen steht die gesamte Geflügelwirtschaft unter Druck, die langsam begreift, welch bahnbrechende Dynamik in Münster losgetreten wurde. Schon nimmt der Deutsche Bauernverband die Brütereien in Schutz gegen die aufwallende Empörung: Die Branche setze sich „mit Nachdruck“ für Alternativen zum Töten ein, erklärt der Verband.
Doch mögliche Lösungen sind tatsächlich schwer umzusetzen. Das Aufziehen männlicher Tiere, die nur langsam wachsen, ist teuer und aufwändig. Eine Alternative wäre die frühzeitige Geschlechtsbestimmung vor dem Schlüpfen, noch im Ei. Dies sei beim Geflügel schwierig, heißt es in der Hühnerbranche. Der Ansatz funktioniere zwar im Labor, lasse sich in der Praxis aber noch nicht wirtschaftlich anwenden. Die Geschlechtsbestimmung könnte teurer werden als das ganze Huhn.
Bleibt die Züchtung eines „Zweinutzungshuhns“, das als Eierleger und Masthähnchen gleichermaßen taugt. Dazu gibt es mehrere Initiativen und Zuchtversuche. Doch „Fleischansatz“ und „Legeleistung“ sind negativ korreliert. Entweder gibt es viele Eier oder viel Fleisch, beides geht nicht.
„Man kann es hinkriegen“, sagt Idel, aber von der Maximierung der Legeleistung müsse man sich dann ebenso verabschieden wie vom Turbo-Brathähnchen, das nach 35 Tagen schlachtreif ist. MANFRED KRIENER
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