An den Börsen der Welt stürzen die Kurse ab

In Europa, Amerika und Asien brechen die Aktienwerte ein. Die meisten Banker geben sich zwar optimistisch. Doch die globalen Finanzmärkte geraten aus dem Gleichgewicht. Und die Weltwirtschaft wird damit anfällig für Krisen

BERLIN taz ■ Die Putzkolonnen in den Börsen dürften in der vergangenen Woche viel zu tun gehabt haben, um all die ausgerauften Haare aufzufegen. Der Deutsche Aktienindex Dax stürzte binnen Wochenfrist um gut 4 Prozent auf 5.672 Punkte. Kurzfristige Kurskorrektur oder der Anfang eines langen Abstiegs?

Am vergangenen Mittwoch brach der Dax mit 3,4 Prozent um Größenordnungen ein, die es seit dem Krisenjahr 2002 nicht mehr gegeben hat. Die europäischen Aktien verloren rund 3 Prozent, und der New Yorker Dow Jones immerhin noch 2 Prozent. Am härtesten traf es Asien. Die Börse in Indien erlebte mit minus 7 Prozent ihren bislang schlimmsten Tag. Schuld sollen die hohen Inflationszahlen aus den USA gewesen sein: Sie lagen im April 0,6 Prozent höher als im Vormonat. Die Börsianer fürchten nun eine weitere Leitzinserhöhung in den USA. Sie wäre Gift für die Börse. Die meisten Banker verbreiten dennoch Optimismus.

Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann glaubt, der Rückgang sei gesund. Und für den Investmentstrategen der Deka Investment, Thomas Tilse, stellt der Kurseinbruch nur eine fällige Normalisierung dar. „In den entwickelten Ländern können Aktien bislang nicht als überwertet angesehen werden, im Vergleich etwa zu Unternehmensanleihen oder Rohstoffen. Es ist daher relativ vernünftig, in Aktien zu investieren“, sagt Tilse. Außerdem würden die Unternehmensgewinne wachsen – um 10 Prozent im nächsten Jahr in den USA und um 8 Prozent in Euro-Land. Tilse sieht auch keinen Anlass für Inflationsängste. Denn bei Rohstoffen wie dem Öl sei der Höhepunkt der Preissteigerung überschritten. Tilse: „Die Weltwirtschaft hält sich.“ Die Aktien würden sich erholen.

Auch der US-Chefvolkswirt der Investmentbank Goldman Sachs, Jan Hatzius, gibt sich zuversichtlich. Deutsche Aktien seien eben schwankungsanfälliger als amerikanische, erklärt er. Deutschland ist exportabhängig. Also werde die „Wirtschaft hier besonders stark in Mitleidenschaft gezogen, wenn es in Amerika schlechter aussieht“. Dies gelte auch für Asien.

Bei näherer Betrachtung scheinen die US-Inflationsdaten allerdings nur der letzte Auslöser für die Flucht aus den Aktien gewesen zu sein. Die Kurse rutschen schließlich schon seit fast zwei Wochen. Offenbar gibt es ein Unbehagen über die Ungleichgewichte auf den globalen Finanzmärkten. Sorge bereitet vor allem das gigantische Leistungsbilanzdefizit der USA. „Irgendwann müssen die USA weniger importieren. Dieses Problem wird dann auf die Finanzmärkte überschwappen“, schätzt Heribert Dieter, Experte für internationale Finanzmärkte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Der Dollarkurs müsse nämlich weiter sinken, um Importe in die USA zu verteuern. Geschehe die Abwertung zu abrupt, könne es aber eine Währungskrise geben. Zudem sei fraglich, ob Asien und Europa die wegbrechende US-Nachfrage ausgleichen könnten, „um einen Einbruch der gesamten Weltwirtschaft zu verhindern“.

Aus Dieters Sicht sind die Aktien schon heute falsch bewertet. Viele der nicht an der Wall Street arbeitenden Finanzexperten glauben, dass es noch die spekulative Blase der Neunzigerjahre gibt. Dieter sagt: „Langfristig wird eine Korrektur kommen“.

NICOLA LIEBERT