So muss das auch bei Abba gewesen sein

POP Mit einer Schnitzeljagd in den Konzertsaal – wenig überraschend entpuppen sich The Reflektors im Astra als Arcade Fire. Die dann locker durch eine Revue geleiten, die die gesamte Rock- und Popgeschichte beinhaltet

Der Pferdekopf, der im Publikum spazieren geführt wurde, hält nicht still

VON JENS UTHOFF

Mit dem Karneval in Berlin gibt es ein großes Missverständnis. Nicht nur generell, weil er nicht zu existieren scheint. Nein, aktuell, weil er noch viel weniger existiert, seit bekannt wurde, dass der große hiesige Karnevalsumzug am Rosenmontag ausfällt.

Die meisten jener Menschen, die sich am Dienstag im Astra einfanden, dürften mit Karneval eigentlich wenig am Hut haben. Sie verkleideten sich trotzdem. Eine lief als Banane rum, ein anderer als Ritter. Andere kamen mit Masken, im Dirndl, Abendkleid oder Smoking in den Friedrichshainer Club.

Dies lag an der auftretenden Band, die dazu aufgefordert hatte, den Abend zur großen Maskerade zu machen oder sich zumindest ordentlich in Schale zu schmeißen.

Die Band, die die Abendgesellschaft geladen hatte, nennt sich The Reflektors. Nie gehört? Kein Wunder, denn unter dem Namen Arcade Fire ist die Combo aus Montreal bekannter – deren neues Album heißt „Reflektor“ und wird wohl wieder in zahlreichen Ländern Gold und Platin einheimsen. In den deutschen Charts steht man derzeit auf Rang sechs. In Anlehnung an den Titel kündigten die Frickel-Indierocker ein Geheimkonzert in Berlin an. Mit den „Reflektors“-Plakaten in der Stadt setzten sie die Schnitzeljagd rund um das neue Album, die online mit kryptischen Hinweisen auf das Werk begonnen hatte, fort.

So viel Brimborium kann man auch übel nehmen. Angesichts der eineinhalbstündigen Revue durch die gesamte Rock- und Popgeschichte, die etwa 1.500 Zuhörer an diesem Abend verfolgten, wurde aber schnell klar: Die als Reflektors verkleideten Arcade Fire dürfen sich das rausnehmen.

Zehn Musiker und Musikerinnen sind auf der Bühne – Geige, Keyboard, Orgel, Congas und jede Menge Schnickschnack sind zu sehen. In der Mitte stehen die Sängerin Régine Chassagne sowie der Sänger und Gitarrist Win Butler, der in Personalunion auch ihr Ehemann ist. Die Musiker tragen Jacketts, zum Teil mit Flicken. Chassagne trägt ein Glitzerkleid.

Geht es zunächst mit Stücken wie dem tanzbaren Titeltrack „Reflektor“ und dem mit Karibik-Rhythmen versehenen „Flashbulb Eyes“ noch solide und gut los, steigern sich die Reflektors im Lauf des Abends: Bei Stücken wie „Here comes the night time“ oder „Joan of Arc“ hüpfen, zappeln, tanzen wohl auch die Letzten. Auch der Pferdekopf, der im Publikum spazieren geführt wurde, hält nicht still. Bei Dancefloor-Nummern wie „Sprawl II“ vom Vorgänger-Album „The Suburbs“ glaubt man, dass es wohl in etwa so gewesen sein muss, Abba live zu sehen.

Sänger Win Butler zeigt sich derweil erfreut, dass viele der Einladung zur Verkleidung gefolgt waren: „Schön, so viele gut gekleidete Menschen zu sehen!“, sagt er, während er sich selbst mit Bier übergießt. Zuvor stellt er enttäuscht fest, dass sich nicht seine Lieblingssorte im Becher befindet.

Während der Songs läuft Butler auf einem kleinen Laufsteg ins Publikum hinein. Von dem springt er schließlich kurz vor der Zugabe in die Menge. Vor der Bühne wird gegen Ende des Sets eine Konfettikanone abgefeuert.

Wenn der Abend als karnevaleske Veranstaltung begonnen hat, so endet er als Prozession: Mit dem hymnischen „Wake Up“ schließt die Reflektors Big Band. Der Saal stimmt gemeinsam ein großes „Ooooooho-ho-ho-ho-hohooo“ an, ehe die verkleidete Gemeinde auseinandergeht.