Auf die giftige Flut folgte der Missbrauch

Ein philippinisches Jugendtheater tourt durch NRW. In Münster, Bonn und Aachen bekamen sie für ihr Musical-Drama heftigen Applaus. „Once there was a dream“ prangert die Verbindung von Umweltzerstörung und Kinderprostitution an. Einige Darsteller haben sie am eigenen Leib erfahren

Eine zerstörte Umwelt erzeugt Armut – Armut begünstigt Prostitution

VON ANNA STERN

Es ist schwer vorstellbar, dass Themen wie Umweltzerstörung, Sexhandel und Kinderprostitution in einem „Musical“ abgehandelt werden können. Doch vier Mädchen und vier Jungen aus den Philippinen haben diesen Drahtseilakt vollbracht. „Wenn es jemand schaffen kann, das auf authentische Weise nahe zu bringen, dann wohl diese Truppe!“, sagt eine sichtlich beeindruckte Zuschauerin in der Aachener Barockfabrik.

Zuvor machte das Jugendtheater bereits in Münster und Bonn Station. Zwischen 16 und 18 Jahre sind die SchauspielerInnen alt, haben die Schule fast hinter sich, Studium oder Ausbildung in Aussicht und arbeiten für Akbay, die Jugendorganisation der philippinischen PREDA-Stiftung. PREDA steht für Peoples Recovery, Empowerment and Development Assistance und kämpft seit 1974 für Kinderrechte. Ihre aktuelle Gefängniskinder-Kampagne hat einen großen Sieg errungen: Gerade verabschiedete das philippinische Parlament ein Gesetz, dass untersagt, Kinder unter 15 Jahren als Straftäter zu betrachten und sie einzusperren. Wenn es umgesetzt wird, bedeutet das die Befreiung von tausenden Jugendlichen, die wegen Lappalien, wie zum Beispiel Kartenspielen auf der Straße, ohne Verfahren verhaftet und dann im Gefängnis Opfer sexuellen Missbrauchs und schwerster körperlicher Misshandlungen wurden.

Das Musical-Drama „Once there was a dream“ zeichnet das Schicksal eines jungen Mädchens nach, das sich im Prostitutions-Milieu verfängt. Den Missbrauch, den die jungen Menschen auf der Bühne spielen, haben sie zum Teil selber erlebt. „Diese Kinder müssen in Heime. Wir rechnen damit, dass sie zu uns kommen. Doch unsere Häuser sind voll“, sagt Pater Shay Cullen, der PREDA in Olongapo Stadt mitgründete. Die beiden Therapiezentren, die die Stiftung für Opfer sexuellen Missbrauchs unterhält, könnten nicht mehr als 120 Kinder aufnehmen, ein Tropfen auf den heißen Stein angesichts des Bedarfs. Ein neues, großes Zentrum müsse her, am besten auf dem Land, mit einer eigenen biologischen Landwirtschaft. Pater Cullen arbeitet deshalb auf Hochtouren. Er wurde in den letzten Jahren mit zahlreichen Menschenrechtspreisen ausgezeichnet und zweimal für den Friedensnobelpreis nominiert. Mit seiner Arbeit schafft er sich allerdings auch viele Feinde. Kein Wunder, denn PREDA hat sich mit einer der lukrativsten und mächtigsten Industrien der Welt angelegt – der Sexindustrie. Zumindest auf den Philippinen wurde dafür gesorgt, dass Täter und Nutznießer nicht mehr ungestört agieren können.

Inzwischen arbeiten 65 feste Angestellte rund um die Uhr für die Stiftung. In den Therapiezentren erhalten die traumatisierten Kinder neben der intensiven psychotherapeutischen Behandlung eine schulische und handwerkliche Ausbildung. So lernen sie, aus Recycling-Material Fahrräder und Schuhe zu machen, aus Bambus und Rattan Möbel zu bauen. Zu den Präventivmaßnahmen gegen Prostitution gehört neben den internationalen Aufklärungskampagnen auch die Förderung des Fairen Handels. Mitarbeiter informieren die verarmte Landbevölkerung über diese ökologische und wirtschaftliche Zukunftsperspektive, unterstützen die Kleinbauern sozial und rechtlich und sorgen für stabile Preise. Eine einfache Möglichkeit, diese Arbeit von Deutschland aus zu unterstützen, besteht darin, philippinische Produkte aus Fairem Handel zu kaufen. Dafür warben die lokalen Veranstalter in Aachen, missio Aachen und das Bildungsprojekt für Umwelt und Entwicklung Utropia, mit philippinischem Mangoprodukten, die vor und nach dem Auftritt verkauft wurden.

Auch so wird die Stiftung für die Globalisierungs-Gewinner unbequem: PREDA solidarisiert sich mit der indigenen philippinischen Bevölkerung und kämpft für eine Rückgabe und Renaturierung der durch internationale Bergbaukonzerne zerstörten Landschaft. Eine Umweltkatastrophe ist auch der Ausgangspunkt des Musical-Dramas: 1996 brach auf der Insel Maranduque ein Damm, der die hochgiftigen Abwässer einer kanadischen Kupfermine zurückhalten sollte. Die Sicherheitsvorschriften beim Bau waren umgangen worden, mit dem nötigen Schmiergeld kein Problem. Drei Millionen Tonnen Giftschlamm verseuchten Dörfer und Gewässer, tausende von Menschen verloren ihre Lebensgrundlage. Die Helden des Musicals, Alex und Celina, ein junges Paar aus den betroffenen Dörfern, werden nach der Katastrophe getrennt. Widerstrebend lässt sich Celina auf ein angeblich lukratives „Jobangebot“ in Deutschland ein, um der Familie aus den Schulden zu helfen. Zusammen mit Isabelle und Dodong, einem Straßenjungen aus Manila, wird sie in das Verlies eines deutschen Kinder-Bordells verschleppt und zur Prostitution gezwungen. Alex erfährt davon. Schließlich findet er die Mädchen, doch es gibt kein Happy End: Für Dodong kommt die Hilfe zu spät. Bevor deutsche Polizisten den Bordellbesitzer festnehmen, ist er bei einem Fluchtversuch erschossen worden.

Bewusst stellt das Stück beide Problemfelder nebeneinander: Eine zerstörte Umwelt erzeugt Armut, Armut begünstigt Prostitution. UNICEF spricht von weltweit mehr als zwei Millionen Kinderprostituierten und bis zu 100.000 sexuell ausgebeuteten Kindern auf den Philippinen. Die jungen SchauspielerInnen sehen sich als Botschafter für die Rechte dieser Kinder und spielen Geschichten, die Freunde und Bekannte am eigenen Leib erlebt und ihnen in den Therapiezentren der PREDA-Stiftung erzählt haben. Mit perfektem Timing, ausgefeilten Choreographien und sichtbarem emotionalen Engagement. Und mit donnerndem Applaus nach der Schlussszene.

www.preda.org