ausgehen und rumstehen
: Das Tour-Loch schaukelt sich in eine Sekunde Leichtigkeit

Für herumreisende Musikerinnen ist es immer schwierig, nach bewegten Tourwochen in die eigene Stadt zurückzukehren. Das gute alte Berlin will einem gar nichts mehr sagen, die neuen, fernen Freunde beschäftigen einen innerlich mehr als die alten, man weiß nicht, wohin mit sich, ist fremd in Wohnung und Stadt. Gut verdienende Musiker hängen in solchen Fällen der berühmten Post-Tour-Depression einen Mittelmeeraufenthalt ans Tour-Ende. Dem großen Rest bleiben nur die alten, günstigeren Hausmittel: sich selbst gut zureden, abwarten. Man muss Berlin immer wieder eine Chance geben, man muss sich bemühen. Und: Gibt es in anderen Städten nicht auch viel Unschönes? Umgedrehte Hubschrauber und Mozartschinken in Salzburg, und in Wien führt sich der unvermeidliche Robert Stadtlober als Indie-Dandy auf!

Es gibt Städte, die leiden an ihrem Image wie Stuttgart und Duisburg. Und stehen München und Frankfurt sich nicht oft selbst im Wege, schwärmt man in Münster und Marburg nicht sogar von Berlin und blickt neidisch an die Spree? Ja, ja, ja. Deshalb lautete auch am Donnerstag die Devise: raus aus dem Tourloch, rein ins crazy Berlin, zur The-Fall-Ausstellung in die Galerie Praxis Hagen.

Die Exponate an sich waren schnell durchgesehen. Interessanter war es zu beobachten, wie sich verdiente Punk-Persönlichkeiten um die fünfzig so stylen: Da gab es den gepflegten älteren Herrn im feinen Tuch, Typ TV-Personalitiy, genauso wie das rotgesichtige Hooliganmodell. Man schaute sich noch mal die alten Plattencover und das liebe Fall-Video von Jeffrey Lewis an und rätselte, wer wohl die eigens angereiste Mark-E.-Smith-Schwester sein könnte.

Aber trotz all der verdienten Persönlichkeiten blieb eine Frage: Was sollte man hier? Auf Tour weiß man immer, was man zu tun hat: meistens nichts. Man sitzt viele Stunden im Bus, musiziert ein wenig und trinkt viel, schläft in schmierigen „Künstlerwohnungen“ oder berühmten Musikerhotels, die Tunichtgute wie Pete Dogherty vor kurzem mit selbst gespritzten Heroinherzen verschönert haben. Ach Wien, Wien, Wien.

In der Schlesischen Straße füllen am Wochenende die Designmai-Youngsters die Straßen, sie stehen in dichten Trauben vor der galerie tristesse, denn drinnen sind Fahrradhelme aus Papierrollen, verschnürte Garderobenlösungen und ähnlich ungewöhnliches Design ausgestellt.

Dann trifft man Bekannte: „Was war hier so los?“, fragt man. „Nicht viel, der Frühling war kurz und die Blüten sind schon wieder verweht“, sagen sie, und man hebt selbst an zu erzählen: von Weinheim und Bremen, von Triumphen und Demütigungen, von neuen Seelenverwandten und alten Toursitten – und natürlich sind solche Gespräche a priori Einbahnstraßen. Danachschleicht man sich heim, vorbei an neuen, unnötigen Cafés. Die Telekom verunstaltet jetzt mit Magenta-Fußbällen die Rufsäulen, der Palast der Republik ist wieder ein Stück runtergebaut. Alles ist so sinnlos!

Am Sonntagabend dann die Abschlussveranstaltung zum Designmai im Leisesten Club der Welt. Ja, es ist schon schön, mal wieder durch die Fabrik am Flutgraben zu gehen. Ja, und die jungen Designaktivisten aus aller Welt kommen rein und sehen die berühmten Schaukeln und haben dieses „Das ist ja irre in Berlin“-Lächeln im Gesicht, und man freut sich wieder ein kleines bisschen an der Stadt, trinkt starke Getränke und schaukelt so vor sich hin. Ganz kurz, vielleicht eine Sekunde lang, ist ein Gefühl der Leichtigkeit da.

Aber was ist das für eine Leichtigkeit, die mit Wodka und riesigen, an Stahlträgern befestigten Schaukeln in alten Fabrikhallen künstlich hergestellt werden muss? CHRISTIANE RÖSINGER