„Chinesen kopieren nicht nur Produkte“

China hat mittlerweile ein eigenes Interesse, gegen Produktpiraterie vorzugehen, sagt Ex-Siemens-Chef von Pierer

taz: Jahrelang verlangte die deutsche Wirtschaft von der Bundesregierung die Unterstützung für Investitionen in China. Jetzt häufen sich Klagen über Produktpiraten in China – und Berlin soll es richten. Hat sich die deutsche Wirtschaft über den Tisch ziehen lassen?

Heinrich von Pierer: Nein, der Schutz des geistigen Eigentums wurde immer schon auf allen Ebenen diskutiert. Es ist halt so, dass die Gesetze in China an sich da sind und die Probleme deshalb auf ihrer mangelnden Umsetzung beruhen. Wir können das nur indirekt beeinflussen, indem wir im Rahmen des Rechtsstaatsdialogs für die bessere Ausbildung von Beamten, Rechtsanwälten und Richtern in China sorgen. Entscheidend ist deshalb, dass in China heute das Eigeninteresse am Know-how-Schutz spürbar wächst. Die Chinesen erkennen, dass sie ihr eigenes Wissen schützen müssen.

Ist die neue KP-Kampagne zum Patentschutz ernst zu nehmen?

Ich finde das sehr gut. Die Chinesen sind nicht nur mit Kopieren beschäftigt. Sie bilden jedes Jahr 400.000 Ingenieure aus, die Technologie erfinden und sie dann gegenüber anderen im In- oder Ausland schützen wollen. Man merkt den Bewusstseinswandel auch an den Schadensfällen, die wir den Chinesen melden. Da gehen sie mittlerweile sehr hart vor.

Toyota lässt seine Luxusmarke Lexus bewusst nicht in China herstellen. Sind deutsche Firmen wie BMW und DaimlerChrysler mit ihren China-Investitionen zu weit gegangen?

Ich kann diese Firmen nicht beurteilen. Natürlich spielt „Made in Germany“ bei Luxusmarken eine große Rolle. Aber wer in China auf Dauer an dem wachsenden Markt Anteil haben will, der muss hier sein. Man muss auf die Kosten schauen. Bei vielen Projekten hätte man keine Chance, wenn man mit deutschen Kosten kommt.

Sie warnen vor dem High-Tech-Low-Cost-Land China. Warum?

Es wird zunehmend sichtbar, dass die Chinesen einerseits verstehen, ihre Kosten vor allem in den ländlichen Gegenden und bei unqualifizierten Arbeitern niedrig zu halten. Bei Managern ist das ganz anders, da zahlt man heute kaum weniger als für einen Europäer. Aber insgesamt gilt doch: Auch im Ingenieurbereich sind die Arbeitskosten unvergleichbar niedrig. Zugleich aber legt das Land jetzt dieses neues Technologieprogramm auf: How to become an independant leader of technology! Wenn man das liest, wird klar, dass alle Zukunftstechnologien gemeint sind, von denen auch wir leben sollen. Inklusive Werkzeugmaschinen. 2.000 Ingenieure haben das Programm ausgearbeitet. Dahinter steckt gründliche Arbeit.

Steht das nicht alles bisher nur auf dem Papier?

Ich würde mich darauf nicht verlassen. Was die Chinesen in den letzten Jahren angekündigt haben, haben sie umgesetzt. Ich würde lieber überprüfen, was bei uns in Deutschland daraus folgt, wie wir an unserer eigenen Wettbewerbsfähigkeit zu arbeiten haben, nicht nur an den Arbeitskosten, sondern vor allem an der Stärkung der Innovationskraft unseres Landes.

INTERVIEW: GEORG BLUME