Am Fraenkelufer
: 30 Jahre DDR

H. hatte Londoner Raver agitiert

Der Himmel war blass; nur selten riss er auf, und ganz kurz sah man dann überraschend warme Farben. Graugrün war aber das meiste; nicht kalt, aber doch wie April. Man schaute so über die Grasflächen und Hügel am Fraenkelufer; hier und da standen die Freunde in Grüppchen, die meisten kannten sich seit zehn oder zwanzig Jahren. Man war zusammen raven gewesen, hatte lange Afterhours miteinander verbracht; D., die nun zwei Kinder hatte, hatte früher immer, wenn gar nichts mehr ging, irgendwann ihr Kunststück vorgeführt, bei dem sie erst auf dem linken Bein gestanden war und mit der rechten Hand ihr linkes Ohr angefasst hatte. Dann war sie hochgesprungen und hatte sich mit einer Plastikflasche auf den Kopf gehauen – unglaublich lustig jedenfalls; ich krieg’s nicht mehr richtig zusammen.

Schon auf dem Weg vom Südstern zum Fraenkelufer hatte ich begonnen, mich nostalgisch zu fühlen. Es war ja auch der erste Karneval der Kulturen, an dem ich nicht mehr sozusagen mittenmang wohnte, an dem wir nicht in meiner Wohnung rumhingen mit allen dazugehörigen Geschichten und Verwicklungen. So redeten wir halt draußen.

Ein Gesprächsthema war zum Beispiel, dass H. in London letzte Woche mit Freunden auf so einer House-Party gewesen war. In dieser Nacht also hätte er kommunistische Propaganda betrieben. Stolz nannte er es jedenfalls so, und ich stellte mir die englischen Raver vor, wie sie dem Freund an den Lippen hingen.

In echt hatte er den Anwesenden nur die DDR erklärt, und sie hatten ihn bestaunt, weil er 30 Jahre seines Lebens in der DDR gelebt hatte. Nur F. hatte später Einwände gemacht, weil er ein halbes Jahr im DDR-Knast gesessen hatte. Im Nachhinein war der Grund zum Lachen: Er hatte an einem ersten Mai einem Kind das Winkelement aus der Hand genommen und es kaputtgemacht. (Aber das tut man ja auch nicht.) DETLEF KUHLBRODT