Ungewünscht frei

Serbien ist ein eigener Staat – gegen seinen Willen

BELGRAD taz ■ Die Entscheidung von knapp 220.000 Montenegrinern hat auch mehr als 8 Millionen Bürgern Serbiens die Unabhängigkeit beschert – von der sie nichts wissen wollten, weil sie sich in der Staatengemeinschaft mit dem viel kleineren Nachbarn verankert glaubten. In der Nacht zum Montag flimmerten über die hiesigen Fernsehsender Bilder aus einem jubelnden, Fahnen schwenkenden Montenegro. Die Belgrader ließ es kalt.

Serbiens Präsident Boris Tadić wollte sich am Wahlabend nicht äußern, bevor das amtliche Endergebnis vorliegt. Ähnlich auch ein Berater von Ministerpräsident Vojislav Koštunica: Noch sei „nichts endgültig“, sagte er. Der Außenminister der Staatengemeinschaft, Vuk Drašković, hat die ungeliebte Unabhängigkeit indirekt anerkannt, indem er vorschlug, „die Gelegenheit zu nutzen und Serbien zum Königreich auszurufen“.

Das ist kein seriöser Vorschlag. Trotzdem muss Serbien jetzt seine Regierung umbilden und ein eigenes Außen- und Verteidigungsministerium einführen. Der größte Teil der Streitkräfte bleibt in Serbien, es ist jedoch unklar, wer den Oberbefehl haben wird. Bisher war es ein Verteidigungsrat, zusammengesetzt aus den Präsidenten Serbiens, Montenegros und der Staatengemeinschaft.

Miroljub Labus, bis vor einer Woche Vizepremier Serbiens, hat die serbische Regierung aufgerufen, das Ergebnis anzuerkennen und Gespräche mit Montenegro zu beginnen. Und der Präsident des serbischen Verfassungsgerichtes, Slobodan Vučetić, erklärte, Serbien müsse jetzt in wenigen Tagen eine Deklaration über die Verkündung der eigenen Unabhängigkeit verabschieden.

Der Zerfall der Staatengemeinschaft ist sicher auch eine Niederlage der europäischen Politik, wie sie der EU-Außenbeauftragte Javier Solana hartnäckig vertreten hat. Er hat die Staatengemeinschaft zwischen Serbien und Montenegro gefördert, nun wird er zugeben müssen, dass er die Lage falsch eingeschätzt hatte. IVAN IVANJI