Köhlers Kritik

aus BERLIN THILO KNOTT

Bundespräsident Horst Köhler hat die Arbeit der großen Koalition in zentralen Bereichen kritisiert und einen größeren Einsatz für die Schaffung von Arbeitsplätzen angemahnt. Auf dem DGB-Bundeskongress in Berlin forderte das Staatsoberhaupt, die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent deutlich stärker zur Senkung der Lohnnebenkosten zu nutzen, als von Union und SPD vorgesehen. „Nach dem Beschluss des Deutschen Bundestages vom Freitag wünschte ich mir, dass die zusätzlichen Steuereinnahmen hauptsächlich zur Senkung der Lohnnebenkosten genutzt werden“, sagte Köhler gestern.

Die Regierungsparteien wollen nur ein Drittel der zu Beginn des kommenden Jahres steigenden Mehrwertsteuer zur Senkung des Beitrags für die Arbeitslosenversicherung verwenden. Der Rest dient der Konsolidierung der maroden Staatskassen. Köhler brachte verstärkte Einsparungen als Alternative ins Spiel. So spreche vieles dafür, dass durch mehr Transparenz und Effizienz in den Sozialsystemen Kosten eingedämmt werden könnten.

Die Bundesregierung sieht für eine Korrektur ihrer Steuerpolitik dagegen wenig Spielraum. „Zwei Mehrwertsteuer-Punkte benötigen wir zur Konsolidierung des Haushalts“, sagte ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums gestern in Berlin. Unklar blieben mögliche Steuerentlastungen im Rahmen der geplanten Unternehmensteuerreform.

Köhler kritisierte in seiner Rede auch die Arbeitsmarktpolitik der Regierung. „Für einen wirklichen Durchbruch bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gibt es noch keinen Anhaltspunkt“, sagte Köhler. Er wiederholte seinen Appell, alles der Schaffung von Arbeitsplätzen unterzuordnen. „Verständigen wir uns auf eine politische Vorfahrtsregel für Arbeit“, sagte Köhler. Was Arbeitsplätze nachhaltig sichere und schaffe, das habe Vorrang vor allem anderen – und sei es noch so wünschenswert. Zudem hätten weder Politik noch Wirtschaft ausreichend auf die schwachen Investitionen in Spitzentechnik, -forschung und -ausbildung reagiert. Es gilt als ungewöhnlich, dass sich der Bundespräsident so konkret zur Politik der Regierung äußert.

Den Gewerkschaften zollte Köhler Respekt für ihre „verantwortungsvolle Lohnpolitik“ der vergangenen Jahre. Der Bundespräsident bekannte sich eindeutig zu Mitbestimmung, Tarifautonomie und Flächentarifverträge. Gleichzeitig ging er mit der Wirtschaft hart ins Gericht und kritisierte die Höhe mancher Managergehälter. Es sei schwer, Arbeitnehmern Mäßigung und Lohnzurückhaltung zu empfehlen, wenn andere keine Maß zu kennen scheinen. „Ganz verquer wird es, wenn immense Vorstandsgehälter mit einem gestiegenen Shareholder-Value begründet werden, der auf Lohnzurückhaltung und Entlassungen beruht“, sagte Köhler. Er forderte von der Wirtschaft „gerade jetzt eine besondere Kultur der Mäßigung und Verantwortung“.

Der Sprecher der Bundesregierung hat unterdessen Kritik eines SPD-Regierungsmitgliedes an Köhler klar zurückgewiesen. Das Staatsoberhaupt als „Sparkassendirektor“ zu bezeichnen sei „unangemessen“, sagte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm gestern in Berlin. Ein SPD-Regierungsmitglied, das namentlich nicht genannt werden wollte, wurde in einer Zeitung mit den Worten zitiert: „Wir haben einen Bundespräsidenten, der immer Sparkassendirektor geblieben ist.“

Im Mittelpunkt des fünftägigen Gewerkschaftstreffens in Berlin stehen die heutigen Vorstandswahlen. Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer hatte eine erneute Kandidatur bislang offen gelassen. Auf der offiziellen Nominierungsliste taucht ihr Name nicht auf. Ihren Stellvertreterposten soll das CDU-Mitglied Ingrid Sehrbrock einnehmen. Als sicher gilt die Wiederwahl des DGB-Vorsitzenden Michael Sommer.