Mord und Totschlag an der Ostsee

NORDKRIMIS Wer mordet, tut das ganz unauffällig, und genauso wird es in nordischen Krimis oft erzählt: lakonisch und als Quasi-Selbstverständlichkeit. Andere erben plötzlich Häuser und machen sich auf Spurensuche, zerrissen zwischen diffusen Schuldgefühlen und Ahnungen

VON PETRA SCHELLEN

Skandinavische Autoren sind ganz schön makaber, besonders wenn sie vom Morden schreiben. Genau genommen sind ja schon ihre Mythen und Sagen gruseliger als die vieler anderer Völker, was am neblig-dunkel-grusligen Winter liegen mag.

18 von ihnen stellt der Band „Mord unterm Nordlicht“ in kleinen kriminalistischen Kostproben vor. Der Stil ist oft lakonisch, ganz nebenbei passieren eben auch Morde. Da ist zum Beispiel die kleine Trine, die nicht dünn sein will wie ihre Eltern. Die sind spindeldürr, weil sie das in Zeitschriften so gesehen haben, und Maj Sjöwall erzählt sehr sachlich, dass Trine trotz des kargen elterlichen Essens geradezu feist ist. Denn das Kind weiß sich zu helfen und hat sich mit Gemüsehändlern und Bäckern auf seinem Schul-Heimweg angefreundet. Und als der Sommerurlaub beginnen soll – was hieße, wochenlang die Sparkost der Eltern zu verzehren – erlebt Trine mit, wie ihr Vater durch den Abfluss der Badewanne flutscht. Ist es ein Traum? Hat sie vielleicht nachgeholfen? Die Autorin klärt es nicht, aber „Trine lebte danach glücklich und zufrieden“.

Auch die von Jorun Thørring porträtierte Schwiegermutter, die den Kindern beim Weihnachtsbesuch nur trockenen Kuchen und mageren Braten kredenzt, ist nicht so dement und taub, wie man meint: Während die Nachgeborenen Mordpläne schmieden und schon mal das Erbe aufteilen, lauscht sie alldem genüsslich und sorgt dafür, dass keiner der Jungschen überlebt. Einer erfriert, der andere wird vergiftet, ein dritter stürzt die Treppe hinunter. Und die Polizei ist sich später natürlich sicher, dass die liebe alte Dame keineswegs die Mörderin sein kann …

Morden kann man natürlich auch an Deutschlands Ostseeküste. Marieke, die Protagonistin von Marc Freunds „Das Haus am Abgrund“, hat unbegreiflicherweise ein Haus von einem Mann geerbt, den sie in ihrer Kindheit kannte. Im Sterben hatte er gesagt, in seinem Haus sei ein Mord geschehen; das Erbe ist ein Appell, aufzudecken, was dort geschah. Marieke gefällt das Haus, aber nicht die Atmosphäre und schon gar nicht das Schweigen der Menschen im Dorf, als sie nach der Vergangenheit fragt. Im Schneewinter 1978/79 ist eine junge Frau angeblich auf der vereisten Ostsee umgekommen, und man hat am Ufer säuberlich Schlitt- und Handschuhe gefunden. Wie kann das sein? In welcher Beziehung stand die Frau – sie kam als Flüchtling aus dem Osten – zum einstigen Hausbesitzer? Ein Krimi mit intelligentem Lokalkolorit, der der Landschaft, ihren Menschen und der Nachkriegsgeschichte gerecht wird.

Die Journalistin Lena in Stefanie Vierecks „Die falsche Spur“ will eigentlich nur über Hans Christian Andersen schreiben. Aber auf Recherchefahrt trifft sie in einer heruntergekommenen Pension am Nord-Ostsee-Kanal auf unsympathische Menschen, die sie zu kennen scheinen. Wie kann das sein, fragt sie sich, und nach und nach zeigt sich, dass das lose Enden einer lange vergangenen Geschichte über das Verschwinden eines Kindheitsfreundes sind, das nie aufgeklärt wurde. Lena mäandert lange zwischen diffusen Schuldgefühlen, unzusammenhängenden Erinnerungsfetzen und Ahnungen, bevor sie versteht, Mut fasst und tatsächlich die Schuldige stellt.

Mord unterm Nordlicht. Kriminalerzählungen aus Skandinavien. Hg. Gabriele Haefs, Christel Hildebrandt und Dagmar Mißfeldt. DTV, 2013, 220 S., 9,95 Euro

Marc Freund: Das Haus am Abgrund. Ein Ostsee-Krimi, Boyens Verlag, 2013, 304 S., 10,95 Euro

Stefanie Viereck: Die falsche Spur, Pendragon Verlag, 2013, 310 S., 12,99 Euro