Vor dem Christkind brachte ein Türke die Gaben

KULTURGESCHICHTE Nikolaus von Myra wurde nie heiliggesprochen, aber Luther fand trotzdem, ihm gelte zu viel Heiligenverehrung. Er ersetzte den Gabenbringer Nikolaus durch das Christkind. Und verlegte den Schenktermin vom 6. auf den 25. Dezember

VON PETRA SCHELLEN

Dieser Mann ist ein großer Reisender: Keinen festen Ort, keine Wohnstatt, nicht mal eine feste Geburtsadresse hat er. Wie sonst kann es sein, dass er mal aus dem finnischen Korvatunturi stammt, dann wieder aus dem schwedischen Dalarna, aus Grönland, dem Schwarzwald oder aus Spanien?

Keiner dieser Orte hat mit dem historischen Nikolaus auch nur das Geringste zu tun. Dieser nämlich – der ungefähr um 270 nach Christus geborene Bischof Nikolaus von Myra – lebte im kleinasiatischen Lykien, das erst römische, dann byzantinische Provinz war und heute im türkischen Demre liegt.

Wunderbar wundertätig soll er gewesen sein, und falls man ihn nicht mit seinem Namensvetter verwechselt, der 200 Jahre später in Myra lebte, hat er zum Beispiel Schiffe vorm Untergang bewahrt, ermordete Schüler wiederbelebt und schon als Baby an Fastentagen nur zweimal täglich die Mutterbrust genommen, um Mama zu schonen. So edel.

Niemand weiß so genau, wie es zu den vielen Heiligenlegenden kam, die Nikolaus zum Schutzpatron fast aller machten, die irgendwie Hilfe brauchten. Jedenfalls schienen die heiligen Geschichten um das Jahr 1087 herum einer Handvoll italienischer Kaufleute wichtig genug, um den Sarkophag in Demre aufzubrechen, Nikolaus’ Gebeine zu rauben und ins apulische Bari zu schaffen.

Dort liegen sie bis heute in einer eigens erbauten Kirche, und die Türkei verlangt bis heute die Reliquien zurück. Dabei ist der Wert der Gebeine rein ideell, denn Nikolaus von Myra wurde nie heiliggesprochen. Dafür wirkt aber wenigstens sein Grab schiere Wunder: „Der Sarg sondert eine Flüssigkeit ab, und zwar das heilige Öl des Nikolaus“, sagt der Hamburger Kunsthistoriker Torkild Hinrichsen, der bis März dieses Jahres das Altonaer Museum leitete. „Sieben bis acht Liter pro Saison gibt der Sarg her. Das Öl wird dann verdünnt und ergibt 20.000 Ampullen für Pilger und andere Touristen.“ Woher es kommt? „Vom Kondenswasser natürlich, das sich auf dem kalten Sarkophag in der feuchten Luft bildet.“

Die Gläubigen beeindrucken solche naturwissenschaftlichen Erklärungen natürlich nicht: Bis heute ist Nikolaus – auf Griechisch wörtlich „Siegreicher des Volkes“ – neben Christus und Maria nebst Jesuskind die wichtigste Ikone der russisch-orthodoxen Kirche. Und dieser historische Nikolaus starb am 6. Dezember 326, was den Termin des heutigen Nikolaustags erklärt.

Der hat allerdings auch noch andere Gründe: Am 6. Dezember endete auch das mittelalterliche Schuljahr. „Da bekamen die Scholaren ein Geschenk, meist von ihren Paten. Das war dann sozusagen das Weihnachtsgeschenk, das war der eigentliche Schenktermin“, sagt Hinrichsen.

Auch die Rute von Knecht Ruprecht oder Hans Muff – oder wie auch immer der finstere Counterpart des Nikolaus in der jeweiligen Region heißt – stammt aus dem Mittelalter: „Die Rute war das Erziehungsmittel des mittelalterlichen Pädagogen“, erklärt Hinrichsen. Trotzdem: Reformator Martin fand, der Termin deute auf zu viel Heiligenverehrung und tat zweierlei: Er ersetzte den Gabenbringer Nikolaus durch den „Heiligen Christ“. Und verlegte den zugehörigen Weihnachts-Schenktermin auf den 25. Dezember.

Da ist aber ja der Weihnachtsmann zuständig und nicht mehr der Nikolaus. Wie erklärt sich diese merkwürdige Konkurrenz? Gar nicht, der Weihnachtsmann ist eine veränderte Version des Nikolaus, sagt Hinrichsen. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts trug der Nikolaus nämlich noch einen Mantel in den Bischofsfarben Grün und Braun sowie den Bischofsstab. Der Amerika-Auswanderer Thomas Nast brachte dann Bewegung in die Sache: Er zeichnete während des Amerikanischen Bürgerkriegs 1863 einen alten, bärtigen Mann, der die Truppen beschenkte. „Durch diese politische Instrumentalisierung wurde der Weihnachtsmann schlagartig berühmt“, sagt Hinrichsen. Der erste Schritt zur Säkularisierung war getan.

Die Farben Weiß und Rot kamen dann durch eine Coca-Cola-Kampagne ins Spiel, für die der amerikanische Cartoonist Haddon Sundblom das Motiv malte. 1931 war das, und der amerikanische Weihnachtsmann trug jetzt eine Cola statt der Pfeife und brachte in die modernen Haushalte Kühlschränke statt Nüsse. Das alles im Gewand in Coca-Cola-Farben: weiß-rot. „Diese Version ist später nach Europa zurückgekommen“, sagt Hinrichsen. Eine frühe Profanisierung und Amerikanisierung also, die sich auf dem alten Kontinent ziemlich breitgemacht hat.

Und der Stiefel, den auch zeitgenössische Nikoläuse am Abend des 5. Dezember füllen? Der war vermutlich ursprünglich ein Schiffchen – weil Nikolaus doch auch Schutzherr der Schiffer und Seeleute ist.

Dass es im Norden keine Nikolausprozessionen wie in den Niederlanden gibt, wo derzeit über die politische Correctness des Nikolaus-Begleiters „Swarte Piet“ gestritten wird, ist natürlich bedauerlich.