„Wir fühlten uns sinnlos, wie die Narren“

Die umstrittene Züricher Theater- und Filmgruppe 400 ASA gastiert ab heute in Hamburg. Ein Gespräch mit dem Mitbegründer der Gruppe Samuel Schwarz über die Schwierigkeiten der politischen Kunst, die Irrelevanz des Theaters und das Leben zwischen den Stühlen

INTERVIEW FRIEDERIKE GRÄFF

taz: Herr Schwarz, die von ihnen mitbegründete Theatergruppe 400 ASA stellt sich als eine Gruppe dar, die den Stadttheatern und den freien Theatern gleichermaßen auf den Geist geht. Womit eigentlich?

Samuel Schwarz: Wir thematisieren immer die Entstehungsbedingungen von Kunst, und das geht den Leuten immer auf den Sack. Sie sagen immer: Das interessiert doch außerhalb niemanden – was natürlich meist nicht stimmt. Die freie Szene ist nicht frei, sondern es ist die freie Marktwirtschaft. Und das Stadttheater ist ein Sklaven- und ein Ausbeuterbetrieb.

Was macht Sie so optimistisch, dass sich auch Leute außerhalb des Kunstbetriebs für die Arbeitsbedingungen von Künstlern interessieren?

Da spiegeln sich die Komplexe der anderen Leute genauso. Ich glaube, die Leute sind froh, wenn sie von Leuten, die sich auszudrücken wissen, etwas über Widerstand oder Angst erfahren.

Wie waren Ihre Erfahrungen mit den Bühnenarbeitern am Zürcher Schauspielhaus, mit deren Streik sich 400 ASA solidarisch erklärt hat? Gab es da nicht einige Vorbehalte?

Ja, doch. Aber wir reden dann mit den Technikern auch über die Schwierigkeiten. In einem Theater prallen sowieso immer unterschiedliche Welten aufeinander. Und wenn sich in einem Arbeitskampf eine Seite plötzlich als die mächtige herausstellt, ist das für uns ein urtheatralisches und ein urpolitisches Thema.

Mit dem von 400 ASA organisierten Tribunal gegen Silvio Berlusconi gehen Sie auch über die schweizerische Grenze hinaus.

Ja, das war ein sehr interessantes Experiment in Bern. Es war eine Gedenkveranstaltung für die Ereignisse von Genua, bei der wir sozusagen einen Rahmen gebaut haben für die Leute, die von dort erzählten, damit sie sich geschützt fühlten. Es gab eine Anhörung über 18 Stunden mit Zeugenbefragungen und wir haben geguckt, dass eine herzliche Atmosphäre entstand. Aber wir haben auch provokative Dinge getan, damit es nicht so eine Gutmenschen-Veranstaltung wurde.

Wie befreit man sich denn aus der Gutmenschen-Falle?

Die war eigentlich bei dieser Veranstaltung weniger extrem als bei unserem Projekt für Davos. Denn wir hatten bei der Veranstaltung zu Genua eine konkrete, sinnvolle Aufgabe. Aber als wir uns von einem eher christlichen, globalisierungskritischen Umfeld zum Weltwirtschaftsgipfel haben einladen lassen, fühlten wir uns einfach sinnlos, wie die Narren. Dort hatten wir definitiv ein Problem und das dauert eigentlich noch an.

Sie haben dann einen Film gemacht zur Frage „Was Sie schon immer mal über die Schwierigkeiten, politische Kunst machen zu wollen, wissen wollten“. Was sollte man denn darüber wissen wollen?

Wir merkten, dass uns nur etwas einfiel, wozu alle nur mit dem Kopf genickt hätten. Das Projekt zu Genua, wo wir eine soziale und eine Unterhalterfunktion hatten, was in sich eine Würde hatte, war nicht so einfach wiederholbar. Vor Davos haben wir nur gestritten, nicht geprobt, so dass wir kurz vorher nichts in Händen hatten. Dann haben wir in einem Film unseren Streit nachinszeniert.

In einem der 400 ASA-Texte steht, dass die Theaterlandschaft keine Herausforderung mehr biete. War diese – sicher diskutierbare – Vorstellung einer der Gründe, sich von einer Theater- in eine Filmgruppe zu verwandeln?

Das Theater ist eine geschwätzige Kunst und es hat eine geschwätzige Klientel. Es wird von einem sehr kleinen Feld von Leuten bedient, wo ich nicht weiß, ob es die geistige Avantgarde ist. Das Theater ist zur Zeit nicht besonders relevant. Es ist altmodisch, es braucht immer noch das Genie, das alles inszeniert. Man muss Moden reproduzieren – es ist für einen Künstler nicht reizvoll.

Fast all das lässt sich doch auch über den Film sagen.

Aber es hat sich viel getan. Man hat viel schneller die Produktionsmittel.

Und um die zu finanzieren, bieten Sie jetzt eine mietbare Streik-Show an.

Das ist ein Versuch, den Widerspruch zu leben – und damit auch etwas zu verdienen.