DIE ZERLEGTE ZAHL
: 204 Millionen Euro

■ So viel kostet nach Schätzungen des Haushaltsausschusses jedes Jahr die Pendelei des Europaparlaments zwischen Brüssel und Straßburg.

Grund genug für den grünen Europaabgeordneten Gerald Häfner, ein Ende des „Wanderzirkus“ zu fordern. Das Parlament soll künftig selbst über seinen Sitz entscheiden, fordert Häfner – und bekam dafür eine satte Mehrheit. Das sei eine historische Entscheidung, freute er sich. Doch die wahre Höhe der Reisekosten ist umstritten. Der Ausschuss scheint sich seiner Sache selbst nicht ganz sicher, denn er gibt zwei Werte an: 156 bis 204 Millionen. Das sei „noch konservativ“ geschätzt, so Häfner, in Wahrheit könnte es also wesentlich mehr sein. Oder weniger. Denn viele Abgeordnete kassieren zwar die Reisekostenzuschüsse, bleiben aber lieber in Brüssel. Damit treiben sie die Kosten künstlich in die Höhe.

Zudem ist unklar, ob die Volksvertreter weniger reisen würden, wenn ihr Sitz in Brüssel wäre. Schließlich verbinden sie – eh schon unterwegs – die monatliche Straßburg-Woche oft mit einem Besuch in ihrem Wahlkreis, der meist noch weiter weg ist als Straßburg.

Überhaupt gelten die MEPs als ausgesprochen reisefreudig. Im Europaparlament gibt es Ausschüsse und Freundeskreise für alle Regionen der Welt, selbst in die Karibik zieht es die Europäer. Leider gibt es zu diesen Reisen keine Zahlen. Auch die Frage, was die Kompensation kostet, die Frankreich für einen eventuellen Verzicht auf Straßburg fordern würde, bleibt unbeantwortet.

Letztlich macht es also wenig Sinn, die Straßburg-Debatte auf eine Kostenfrage zu reduzieren. Sinnvoller wäre es wohl, endlich einmal zu klären, ob Brüssel die Hauptstadt der EU sein soll. Schließlich gibt es ja auch noch Luxemburg, wo der Ministerrat tagt (was übrigens auch einen „Wanderzirkus“ auslöst). Und dann ist da noch Berlin, das neuerdings als heimliche EU-Hauptstadt gilt. Aber darüber spricht man nicht so gerne in Brüssel …

ERIC BONSE