Pop mit eng geschnalltem Gürtel

My House Is Your House – Labels in Berlin (VII): Erst kommt der musizierende Freundeskreis und dann … 1.000 Plattenkäufer. Das Label Staatsakt beackert seine Nische trotzdem unbeirrt und bietet erstaunlich unterschiedlichen Genres eine Plattform: Prollpunk, Americana, luftiger Elektropop

VON THOMAS WINKLER

Prenzlauer Berg. Eine Ladenwohnung. Ein paar Schreibtische, Computer, Regale. Unscheinbar, beliebig. Es braucht nicht viel, um das momentan aufregendste Plattenlabel Berlins zu betreiben. Im Grunde nur zwei Köpfe. Und ein Konzept, das keines ist. „Musik herausbringen, auf die man Bock hat“, sagt Maurice Summen. „Es soll halt gute Musik sein“, ergänzt Gunter Osburg.

Zusammen sind die beiden Staatsakt, und ganz so simpel ist die Sache natürlich nicht. Denn Staatsakt ist nicht irgendeine Plattenfirma, sondern ein Radikal-Indielabel mit einer denkbar breit gefächerten Stilvielfalt. Eben erschienen ist „The Bark Is The Song Of The Dog“, das Debütalbum von The Say Highs, die eine so romantisch verklärte, nahezu ungebrochene Americana spielen, als läge Berlin neuerdings mitten in der Mojave-Wüste. Etwas älter schon ist „Superdanke“ der mit der eigenen Stumpfheit kokettierenden Cockbirds, die sich bei ihren Auftritten mit peinlichen Verkleidungen als die Village People des Prollpunkrocks inszenieren.

Musikalische oder inhaltliche Gemeinsamkeiten sind beim besten Willen nicht zu erkennen, dafür umso mehr personelle. Summen und Osburg sind zwei Drittel von Die Türen, die mit ihren vom Hamburger Label Buback verlegten, von den 80ies inspirierten Gaga-Pop eine gewisse Bekanntheit erlangt haben. Dritter im Bunde der Türen ist Ramin Bijan, der auch hinter The Say Highs steckt. Die Cockbirds sind das Nebenprojekt von Osburg, und Summen spielt noch bei The Boy Group, die auf ihrem ersten, beim befreundeten Label Enduro erscheinenden Album einen so lustigen wie luftigen Elektro-Pop spielen: Da wird die goldene Ära des Disco-Funk zitiert, die Neue Deutsche Welle und der frühe Prince. Die Genres wechseln, doch die Herangehensweise bleibt sich ähnlich: „Wir gehen da unverfroren ran, wir nehmen alles nicht sonderlich ernst“, sagt Summen, „wir sind hier schließlich im Freizeitbereich.“

Summen, Osburg und Bijan sind alle um die 30 Jahre alt, kennen sich seit ihren Jugendtagen im Münsterland und leben seit einigen Jahren in Berlin. Alle ihre Bands rekrutieren sich aus dem weiteren Freundeskreis, und Staatsakt ist ganz einfach, so Summen, „die Plattform für die ganze Mischpoke“. Eine Mischpoke, in der stilistische Grenzziehungen offensichtlich vollkommen unbekannt sind: „Ich weigere mich, eine Schubladenfabrik zu werden“, sagt Summen.

In der zweiten Hälfte dieses Jahres steht nun allerdings eine Erweiterung dieses intimen Netzwerkes an. Geplant sind Veröffentlichungen von Glacier, der Band des neuen Tocotronic-Gitarristen Rick McPhail, und von Good Heart Boutique, einer Frauenband aus Frankfurt am Main. Damit soll, so Summen, „sozialer Inzest vermieden werden“. Aber auch ein weiterer Schritt getan werden auf dem Weg, sich für die Zukunft zu rüsten.

Denn dass demnächst weitere dramatische Umwälzungen in der Branche anstehen, das ist beiden klar. „Das Musikbusiness als Schwerindustrie wird aussterben“, weiß Osburg. Für diese Zeiten ist sein Label, wie man in der Branche sagen würde, zweifellos gut aufgestellt. Prinzipiell soll zwar eine Expansion gar nicht ausgeschlossen werden, sogar Angestellte sind irgendwann einmal vorstellbar, aber man ist aus Überzeugung Indie und will das auch bleiben. Vorerst hat man sich in der eigenen Nische komfortabel eingerichtet: „Wir sind vorsichtig“, sagt Summen, „und das ist uns wichtig.“ Vor allem hat man auch akzeptiert, dass diese Nische nicht allzu groß ist. Um exakt zu sein, ist sie sogar verschwindend klein. „Mehr als 1.000 Leute kaufen unser Platten nicht“, sagt Osburg, „das ist einfach eine gesunde Selbsteinschätzung.“

Noch gesünder ist, dass man sich nicht in Schulden stürzt, um Geld in Marketingkampagnen zu stecken, die dann nur nahezu wirkungslos verpuffen. Zwar beherrschen Summen und Osburg die Geheimcodes der Musikwirtschaft durchaus, sie sprechen mitunter von „Cashflow generieren“, von „corporate identity“ oder „branding“, aber fast nie ohne Ironie. Oder um sich zu warnen, wenn man selbst wieder mal zu sehr wie eine der großen Plattenfirmen zu denken beginnt.

Andere unabhängige Labels, hat Osburg festgestellt, „versuchen die Major-Mechanismen nachzuäffen und vernachlässigen dadurch auch die eigenen Stärken“, und das alles nur, um womöglich ein paar hundert Exemplare mehr abzusetzen. Das Ergebnis rechtfertigt nicht immer den Aufwand, weniger ist manchmal mehr. „Konservativ wirtschaften“, nennt das Osburg, „Pop mit eng geschnalltem Gürtel“ heißt es bei Summen.

Weil Staatsakt bewusst klein bleibt, schreibt das Label mittlerweile trotz der marginalen Umsatzzahlen sogar „eine schwarze Null“ – allerdings ohne seinen Betreibern ein Gehalt auszuzahlen. Die Selbstausbeutung wird gegenfinanziert durch die eigenen Bands, Osburg arbeitet zudem als freiberuflicher Texter in der Werbung, und Summen ist momentan im Babyjahr. „Ich komme über die Runden“, sagt der junge Vater, „aber irgendwann muss man sich auch mal einen Familienurlaub leisten können.“

Damit es irgendwann dazu kommen kann, hofft er auf „die stille Post“. Schon jetzt diagnostiziert Osburg „eine Asymmetrie zwischen öffentlicher Wahrnehmung und Verkaufszahlen“, da Veröffentlichungen und Label in der Presse stets ausführlich und fast immer positiv gewürdigt werden. So setzen Summen und Osburg weiter darauf, dass sich das Gute schon durchsetzen möge – ganz egal in welchem Stil, ganz egal mit welchem Konzept. „Das Geheimnis ist wahrscheinlich“, vermutet Summen, „dass es kein Geheimnis gibt.“

The Say Highs: „The Bark Is The Song Of The Dog“ (Staatsakt/Indigo); The Boy Group: „Love Is A Freaquency“ (Enduro/Broken Silence); Cockbirds: „Superdanke“ (Staatsakt/Indigo)Live: The Say Highs am 26. 5. in der nbi, Schönhauser Allee 36. The Boy Group am 27. 5. im Festsaal Kreuzberg, Skalitzer Str. 130