taz vor 12 Jahren: Der Schriftsteller George Tabori über Neonazis und Glück des Alters
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taz: Herr Tabori, fühlen Sie sich noch wohl in Deutschland, obwohl eine Synagoge angezündet wurde?

George Tabori: Das hat mich nicht überrascht. Aber da ich im Grunde ein ewiger Optimist bin, hoffe ich, dass das vorübergeht. Ich finde es nicht richtig, die, die so etwas machen, Neonazis zu nennen. Denn sie unterscheiden sich sehr von den Nazis, die ich in meiner Jugend erlebte. Das heißt nicht, daß sie ungefährlich sind.

Ich glaube, dieses Jahr 1994 wird entscheidend sein, und nach den Wahlen wird eine neue Situation eintreten. Offen gesagt – ich sage jetzt etwas Gefährliches – flüchte ich mich im Moment etwas in mein Alter. Nicht dass ich stolz darauf wäre, denn solch eine Haltung ist selbstsüchtig. Aber ich habe zwei Weltkriege und Revolutionen erlebt und bin immer glücklich entkommen. Heute nehme ich die Privilegien des Alters in Anspruch und betrachte das Geschehen von einem anderen Standpunkt. Da spielen Kinder und es ist bedrohlich, wie sie spielen, während in Bonn immer noch ein Optimismus ausgestrahlt wird, der etwas mit Selbsthypnose zu tun hat. Ich werde im Mai 80 und sage mir, was kann mir schon passieren.

Sie fühlen sich als Außenseiter. Warum?

Weil ich von Amerika gekommen bin und mich hier als Gast und als Fremder fühle. Das ist keine Klage, weil ich mich überall als Fremder fühle und meine Fremdheit schon lange, schon seit dem Kriege, akzeptiert habe. Ich erkannte diese Rolle spät in meinem Leben und habe mich mit ihr inzwischen mehr als befreundet. Es ist richtig, dass da einer halbwegs draußen sitzt und beobachtet. Heute habe ich akzeptiert, daß ich nirgendwo zu Hause bin und überall zu Hause sein kann. Das ist nicht die schlimmste Lage für einen Schriftsteller. Gespäch mit George Tabori von Jürgen Berger,taz 24. 5. 1994