MERKELS FORDERUNG, CHINESISCH ZU LERNEN, IST MUTIG, NICHT KOMISCH
: Die Kontrabasszeiten sind vorbei

Den „Mut zu kritischen Tönen“ lobte Bundeskanzlerin Angela Merkel während ihres Besuchs in China. Doch ihr Mut lag nicht darin, das in China Augenfällige zu kritisieren, etwa Menschenrechtsverletzungen und Produktpiraterie. Ihr eigentlicher Mut bestand darin, sich als Sinologie-Freak zu outen. In Peking empfahl sie, dass mehr Deutsche Chinesisch lernen. Sie forderte den Aufbau eines deutsch-chinesischen Jugendwerks. Und sie will fortan persönliche Kanzlerstipendien an Chinesen vergeben, die bislang Russen und Amerikanern vorbehalten blieben. Sie ging damit fast so weit wie ihr Chinaberater Heinrich von Pierer, der sich nie scheut, Konfuzius zu zitieren.

Merkel und von Pierer fordern damit den Spott geradezu heraus. Konfuziussprüche gelten in Deutschland als Skurrilität wie die drei Chinesen mit dem Kontrabass. Und die Aufforderung zum Chinesischlernen wird als Vorschlag für schwache Wirtschaftsstudenten beschmunzelt, die auf dem Arbeitsmarkt keine andere Chance haben. Doch das deutsche Chinagelächter überspielt nur Unwissen und mangelndes Selbstvertrauen.

Mit Ausnahme der Kolonialgeschichte, vor allem der Boxerrebellion zu Beginn des 20. Jahrhunderts, gehörten chinesische Geschichte, Literatur und Philosophie nie zum Kanon bürgerlicher Bildung oder zum Allgemeinwissen. Das gilt gerade auch für eine große Zahl deutscher Intellektueller und Meinungsmacher. Die leisten es sich wie ein Wolf Biermann, im Vorübergehen vom „KZ-Kapitalismus“ zu sprechen. Von einer intensiven Beschäftigung mit dem Konfuzianismus aber ist seit Max Weber außerhalb der Sinologenkreise kaum eine Spur zu finden.

Heute mag nicht mehr Überheblichkeit den Ausschlag geben, sondern die Scheu vor der Erkenntnis, wie wenig wichtig das kleine Deutschland im Verhältnis zum großen China ist. Doch schon Oswald Spenglers Ängste vor dem Untergang des Abendlandes erwiesen sich als falsch, wie auch Samuel Huntington mit seinem „Kampf der Kulturen“ danebenliegt. Chinesisch sollten Deutsche aus Eigen- und Erkenntnisinteresse lernen – und vor allem sollte es nicht mehr als lächerlich oder opportunistisch gelten. GEORG BLUME