Ein explosives Gemisch

Die Spieler sind wundervolle junge Männer, die allerdings wegen ihrer Jugend leider eben manchmal eine schlechte Urteilsgabe besitzen

AUS DURHAM SIMON FUCHS

Buchanan Avenue 610 ist keine Südstaatenvilla. Es fehlen die Säulen, die Veranda, und von einer langen Auffahrt ist auch nichts zu sehen. Ein vernachlässigter Bau mit Löchern in den Fensterläden inmitten eines recht eleganten Viertels voller hoher, schattiger Laubbäume. Eigentlich die Behausung einer typischen Studenten-WG. Doch das einstöckige Haus ruft für viele Amerikaner derzeit wieder die Geister der Vergangenheit wach. Seit dem 13. März scheint es, als wäre die Uhr in Durham zurückgedreht. Als sei dieses Haus das Anwesen einer Baumwollplantage, auf der ein weißer Herr über seine schwarzen Sklaven herrscht. Bis hin zur Einforderung von sexuellen Diensten. Genau dies soll dort geschehen sein vor zwei Monaten. Die Presse ist voll von einem Skandal, der eine Eliteuniversität erschüttert. Er könnte kaum explosiver sein, handelt es sich doch um eine Gemengelage aus Sex und Gewalt, Rassismus, Klassenunterschieden und Leistungssport-Vergötterung. An nichts Geringerem als den Grundfesten des amerikanischen Selbstverständnisses rühren die Ereignisse einer Nacht, als drei Starathleten angeblich eine schwarze Stripperin vergewaltigten.

Um den Hintergrund zu verstehen, reicht fast ein kurzer Spaziergang durch Durham, diese geteilte Stadt. Halb schwarz, halb weiß. Die verwahrloste Innenstadt beherbergt dubiose Kreditagenturen, billige Nagelkosmetikstudios und viel leeren, ungenutzten Raum. Wer Geld hat, wohnt nicht hier, sondern in den ausufernden Vorstädten. Nicht anders als sonst wo in den USA. Und doch hat Durham eine zweite, ungewöhnlichere Seite: Sie ist eine liberale Insel im konservativen Süden. Die Duke-University, eine der Top-Ten-Hochschulen der USA, ist hier zu Hause. Wie ein UFO, so fremd.

Oxford stand Pate, als Ende der 20er-Jahre Geld aus der Tabakindustrie ermöglichte, den gotischen Campus samt Kathedrale im waldreichen und wenig urbanen North Carolina zu errichten. Reiche Kundschaft zieht die Universität heute an, Studiengebühren für ein Jahr belaufen sich auf nicht weniger als 45.000 Dollar. Doch es gibt Wege, dies zu umgehen. Wer für eines der prestigereichen Sportteams geworben wird, erhält ein Vollstipendium für vier Jahre, bis zum Bachelor. Dazu käme das Wohlwollen mancher Professoren bei der Korrektur von Examen, mutmaßen manche. Als wahre Vorbilder gelten jene Athleten, die gleichzeitig studieren und für Duke gegen andere Institutionen in Wettkämpfen antreten. Nicht alle stehen dabei so im Rampenlicht wie die Spieler des Basketball-Teams, das dieses Jahr als College-Mannschaft Nummer eins der USA gewertet war. Die Lacrosse-Abteilung führte bis vor wenigen Wochen eher ein Schattendasein. Nicht, dass Duke in dieser seltsamen, von den Indianern erdachten Sportart, einer Mischung aus Hockey und Football, wenig erfolgreich wäre. Die nationale Meisterschaft war zum Greifen nahe. Aber bei Lacrosse geht es nicht um eine spätere Karriere als Profisportler, es gibt keine wirklich wichtige landesweite Liga. Lacrosse erfüllt eine andere Funktion: Die fast ausnahmslos weißen Spieler kommen allesamt von ausgewählten Schulen an der Ostküste, die sie auf Kaderschmieden wie Duke vorbereiten. Ähnlich wie andere Clubs und Studentenverbindungen in diesem Land, bilden die Spieler Seilschaften, die ihren beruflichen Aufstieg befördern: in renommierte Kanzleien und an die Wallstreet, dank guter Kontakte zu Alumnis, die heute in diesen Positionen arbeiten und selbst einst den Schläger schwangen.

Am 13. März nahm sich das Lacrosse-Team jedoch eine Auszeit von Trainingsstrapazen und Uni-Alltag und veranstaltete eine Party. Das ist nichts Ungewöhnliches. Die Mannschaft hatte einen Ruf für schlechte Manieren und Alkoholexzesse. Doch diesmal hatten einige Spieler die Idee, ein wenig weiter zu gehen als üblich. Sie wählten die Nummer eines Eskortservices, orderten die Dienste zweier „exotischer Tänzerinnen“ wie das hier in den Medien euphemistisch heißt. Beide Frauen waren dunkelhäutig, Ende zwanzig, allein erziehend – angewiesen auf diesen Job, um ihr Studium zu finanzieren. Nicht an Duke, aber an der North Carolina Central University, Durhams anderer, ärmerer Hochschule, die speziell als Ausbildungsstelle für Afroamerikaner gegründet wurde zu einer Zeit, als im Süden noch Segregation herrschte.

Die Show währte jedoch nicht lange. Rassistische Kommentare machten die Runde. „Ich danke deinem Großvater für mein Baumwollhemd“, so hörten es Nachbarn. Die Spieler forderten die Frauen zu sexuellen Handlungen auf. Diese brachen daraufhin ihren Tanz ab und wollten das Haus verlassen. In dem folgenden Durcheinander wurden sie getrennt. Und ab diesem Zeitpunkt gehen die Meinungen auseinander. Noch in der Nacht gab eine der beiden Tänzerinnen der Polizei zu Protokoll, von drei Männern in ein Badezimmer abgedrängt und mehrfach vergewaltigt worden zu sein.

Die Ermittlungen liefen an – doch für die Unileitung schien der Fall bereits erledigt. Man war sich zu Beginn gar nicht bewusst, dass das vermeintliche Opfer schwarz war, ging davon aus, dass der Vorfall keine großen Wellen schlagen würde. Wer nehme schon die Worte einer offensichtlich betrunkenen Stripperin ernst, die noch dazu widersprüchliche Ausagen machte und zuerst von rund 40 Vergewaltigern gesprochen hatte. Dukes sportlicher Leiter Joe Alleva ließ sich auf einer Pressekonferenz vom 28. März zu der Aussage hinreißen, dass alle Lacrosse-Spieler „wundervolle junge Männer seien“, die allerdings wegen ihrer Jugend „leider manchmal eine schlechte Urteilsgabe“ besäßen. Eine fatale Fehlkalkulation für das Image von Duke, als immer mehr Details nach außen sickerten.

Das Lacrosse-Team, gut beraten von teuren Anwälten, bestritt sämtliche Vorwürfe und schwieg verbissen. Eine Reaktion, die vielen auf dem Campus wie einigeln vorkam. In den in erster Linie von Afroamerikanern bewohnten Stadtvierteln Durhams sah man das Verhalten von Universität und Team als Beweis, dass Weiße ungeschoren davon kämen. „Du kannst nicht vergewaltigen und dann einfach wegrennen“, hieß es auf einem Schild, das Demonstranten vor dem Partyhaus zurückgelassen hatten. Auch Duke-Studenten machten ihrem Ärger vor den Verwaltungsgebäuden Luft, Flugblätter mit den Fotos der Spieler kursierten. Die Studentenzeitung berichtete über die menschlichen Abgründe im Lacrosse-Team.

Dann tauchte Anfang April eine E-Mail auf, die ein Spieler in der Nacht der mutmaßlichen Vergewaltigung an den Rest des Teams geschrieben hatte. Noch einmal werde er Stripperinnen bestellen, diesmal aber nicht, um nackte Haut zu sehen, sondern um „diese Huren“ zu häuten und töten und dabei sexuelle Befriedigung zu empfinden. Nun gab es kein Halten mehr. Der Trainer musste zurücktreten, Duke-Präsident Richard Broadhead suspendierte das Team für den Rest der Saison.

Plötzlich sah sich Bezirksstaatsanwalt Mike Nifong im Aufwind: Übereifrig genoss er die Aufmerksamkeit der Medien, nutzte Pressekonferenzen für politischen Profit, da seine Wiederwahl kurz vor der Tür stand. Er verfüge über schlagende Beweise, ließ er verlauten. Doch alle durchgeführten DNA-Tests erwiesen sich als negativ. Die Stimmung auf dem Campus kippte. Die Dukies fühlten sich auf einmal als Opfer. Unfair gebrandmarkt, kollektiv in Zwangshaft genommen als weiße Rassisten von Neidern, die sich an der sportlichen und akademischen Exzellenz der Schule stießen. Demonstrativ kauften die Studenten Lacrosse-T-Shirts, Banner mit dem schlichten Slogan „Unschuldig“ hingen aus den Fenstern von Wohnheimen. Ein Aktivismus, geschürt durch die Wut über die Berichterstattung.

Grobschlächtig waren die Gegensätze weiß/schwarz, reich/arm von Anfang an. Gerade auch, weil Duke kein generell schlechtes Image genießt. Selbst in den ärmsten Gegenden der Stadt finden sich Duke-Banner vor den Häusern, tragen die Menschen Pullover mit dem Logo der Universität.

Allmählich schien die Strategie der Verteidigung, die Glaubwürdigkeit der Stripperin in Zweifel zu ziehen, auf fruchtbaren Boden zu fallen. Anfang Mai wurde bekannt, dass sie vor zehn Jahren schon einmal drei Männer der Vergewaltigung bezichtigte, jedoch nie Anklage erhoben hatte. Dennoch hat die Staatsanwaltschaft gegen drei Spieler in der Zwischenzeit Anklage erhoben. Gegen jeweils 400.000 Dollar Kaution kamen die Studenten frei. Nachuntersuchungen haben indes keine neuen DNA-Spuren ergeben, Lügendetektortests blieben bislang negativ. Bezirksstaatsanwalt Nifong spricht aber immer noch von schlagenden Beweisen, über die er verfüge. Welche, verrät er nicht.

Durham wartet also. Die Stundenten sind in den Ferien, die Schilder und Slogans fort. Und auch das Haus in der Buchanan Avenue liegt nach vielen Mahnwachen wieder verlassen da, mit geschlossenen Jalousien.