„Der DGB ist doch nur ein Papiertiger“

Der Gewerkschaftsexperte Josef Esser ist für die Auflösung des DGB. Denn: „Die Einzelgewerkschaften haben ihm die Flügel gestutzt.“ Die Delegierten hätten bei den Wahlen ihre Opposition zu den mächtigen Gewerkschaftschefs gezeigt

taz: Herr Esser, Ursula Engelen-Kefer ist nach 16 Jahren abgewählt. DGB-Chef Michael Sommer, Ver.di-Chef Frank Bsirske und IG-Metall-Chef Jürgen Peters haben sich also durchgesetzt. Sehen Sie das auch so?

Josef Esser: Ja. Frau Engelen-Kefer war diejenige, die dem DGB in der Öffentlichkeit Profil gegeben hat, was Wirtschafts- und Sozialpolitik angeht. Diesem Männerbund war das offenbar nicht mehr recht.

Weil sie dem Männerbund die Show gestohlen hat?

Die Neuzusammensetzung des DGB-Vorstands ist nicht nur darauf zurückzuführen, dass man Engelen-Kefer nicht mehr mochte. Die mächtigen Chefs der Einzelgewerkschaften wollten ihren Einfluss verstärken und deshalb wurden neue Steigbügelhalter durchgesetzt.

Sie meinen Klaus Matecki – Büroleiter von Jürgen Peters.

Das ist das beste Beispiel. Er ist enger Vertrauter von Jürgen Peters. Über sein Profil in der IG Metall kann er nicht in das DGB-Vorstandsamt gekommen sein. Denn er hatte ja überhaupt keines. Welche inhaltliche Position hat er denn? Er war der Büroleiter von Peters und soll wohl dessen langer Arm im DGB-Vorstand werden. Das haben die Delegierten auch kapiert – und ihn im ersten Wahlgang abblitzen lassen. Die IG Metall wollte einfach nur ihren Einfluss stärken. Mehr nicht. Auch Annelie Buntenbach soll wohl stärker die Interessen der IG BAU einbringen. Zudem musste der DGB auch die Christliche Gewerkschaft, die CDA, einbinden – eben mit Ingrid Sehrbrock. In diesem Paket hatte Engelen-Kefer keinen Platz mehr.

Ist der DGB nur noch eine Interessenvertretung der großen Einzelgewerkschaften?

Der DGB ist doch schon seit längerer Zeit ein Papiertiger. Er hat wenig politische und mehr symbolische Bedeutung. Völlig unabhängig von der jetzigen Personaldebatte. Die DGB-Vorsitzenden waren zuletzt eher Repräsentanten und weniger Gestalter. Das gilt für Sommer genauso.

Aber das kann doch nicht der Anspruch des DGB sein?

In härteren Zeiten konzentrieren sich die Einzelgewerkschaften auf sich selbst – und vernachlässigen den DGB. Für seine schleichende Entmachtung sorgten aber auch die diversen Fusionen in den 90er-Jahren, die aufgrund von Mitgliederschwund und Finanzschwäche der einzelnen Gruppierungen notwendig wurden. Von 16 blieben nur noch 8 Gewerkschaften übrig. Da war dann klar, dass sich die Barone oder Kurfürsten, wie man im Mittelalter gesagt hätte, die Macht untereinander aufteilen.

Wenn man Ihrer Ausführung folgt, dann könnte sich der DGB doch im Prinzip auflösen, oder?

Zugespitzt gesagt: ja.

Im Ernst?

Naja, die Einzelgewerkschaften haben dem DGB schon die Flügel gestutzt. Dennoch erfüllt der DGB weiterhin wichtige Repräsentations- und Dienstleistungsaufgaben für alle. Auch seine Lobbyarbeit in Berlin ist nicht zu unterschätzen. Da verschaffte sich jemand wie Engelen-Kefer schon auch Gehör.

Engelen-Kefer gibt’s im DGB aber nicht mehr.

Sicherlich. Aber es ist deutlich geworden, dass viele Delegierte damit nicht zufrieden sind. Erstens ist bedeutsam, dass Engelen-Kefer überhaupt angetreten ist. Und zweitens, dass immerhin 40 Prozent der Delegierten ihre Opposition zu den weisen Beschlüssen der Vorsitzenden ausdrückten. Auch das schlechte Wahlergebnis für Sommer drückt dieses Unbehagen aus.

INTERVIEW: THILO KNOTT