Raster stigmatisieren

VON CHRISTIAN RATH

Das Bundesverfassungsgericht hat die Möglichkeiten für präventive Rasterfahndungen deutlich eingeschränkt. Nur wenn eine „konkrete“ Gefahr von Anschlägen besteht, dürfen Personaldaten nach bestimmten Kriterien gerastert werden, um potenzielle Terroristen schon vor der Tat zu enttarnen, erklärte gestern der Erste Senat des Gerichts. Für unzulässig wurde damit die bundesweite Rasterfahndung erklärt, mit der Ende 2001 unentdeckte islamistische Terroristen, so genannte Schläfer, gesucht wurden.

Kläger war der 27-jährige marokkanische Student Najim Azahaf, der gerade an der Universität Duisburg/Essen seine Diplomarbeit fertig gestellt hat. „Die Rasterfahndung ist unverhältnismäßig, diskriminierend und letztlich auch nutzlos“, begründete er seine Klage. „Es kann nicht sein, dass man als potenzieller Terrorist gilt, nur weil man jung und islamisch ist, keine Kinder hat und studiert. Da läuft etwas falsch in diesem Land.“

So ähnlich sah es nun auch das Bundesverfassungsgericht. Es erklärte die Rasterfahndung zwar nicht generell für verfassungswidrig, hob jedoch die Hürden für den Einsatz dieses Instruments deutlich an. Eine „allgemeine Bedrohungslage“, wie sie nach dem 11. 9. 2001 durchgehend bestand, genüge ebenso wenig für eine präventive Rasterfahndung wie außenpolitische Spannungen. Die Behörden müssten klare Hinweise auf die Vorbereitung terroristischer Anschläge haben oder darauf, dass sich in Deutschland Personen für solche Anschläge bereithalten. Hierzu müsse die Polizei „Tatsachen“ vorlegen, vage Vermutungen genügten nicht, so die Richter.

Karlsruhe begründete die verschärften Anforderungen mit den Folgen für die Betroffenen. Gerade bei der Suche nach „Schläfern“ gerieten unauffällige und angepasst lebende Menschen in den Blick der Polizei. Sie gälten zwar noch nicht als verdächtig, würden aber zum Ziel weiterer Ermittlungen, etwa von Befragungen im persönlichen Umfeld. Zudem könnten die Rastermerkmale dazu führen, dass die Betroffenen – hier also männliche muslimische Studenten – in der Öffentlichkeit stigmatisiert werden. Diese Folgen hält das Verfassungsgericht nur ausnahmsweise für hinnehmbar.

Lediglich eine Richterin kritisierte die Entscheidung. In einem Minderheitsvotum warnte die Konservative Evelyn Haas, der Karlsruher Beschluss mache den Staat gegenüber drohenden Terrorangriffen „wehrlos“. Das Interesse der Bevölkerung an der Gewährleistung von Sicherheit und Freiheit müsse mehr Gewicht haben als die Belange der erfassten Personen, denn für diese sei die Rasterung nur ein „Eingriff von minderer Intensität“. Auch das Bundesinnenministerium bezeichnete den Beschluss als Hemmnis für die Arbeit der Sicherheitsbehörden.

Nach der gestrigen Entscheidung müssen 13 Bundesländer ihre Polizeigesetze ändern. Nur Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern erfüllen derzeit die Anforderungen, indem sie eine „gegenwärtige Gefahr“ als Voraussetzung für eine Rasterfahndung verlangen. In den anderen Ländern genügt bereits eine einfache Gefahr oder das Vorfeld einer Gefahr. Karlsruhe zeigte sich sogar noch großzügig: Eine „gegenwärtige Gefahr“ muss nicht vorliegen, denn dann käme die Rasterfahndung regelmäßig zu spät, es genüge eine „konkrete Gefahr“.

Einige Länder wie Hessen und Nordrhein-Westfalen werden besonders aufstöhnen. Sie haben in den letzten Jahren gerade die Hürden in ihren Polizeigesetzen abgesenkt, um Rasterfahndungen zu erleichtern. Jetzt müssen die Landtage schon wieder aktiv werden.

Rasterfahndungen zur Aufklärung bereits verübter Straftaten bleiben nach der gestrigen Entscheidung unverändert zulässig. Sie kamen nach dem 11. 9. 2001 aber nicht in Betracht, da die Attentäter ja fast alle tot oder flüchtig waren.