Endlager durch die Hintertür

Die Technische Universität Clausthal will ein Untertagelabor im Salzstock Gorleben bauen, um die Endlagerung radioaktiven Abfalls zu untersuchen. Atomkraftgegner wittern „mafiöse Strukturen“ zwischen Wissenschaft und Atomlobby

von KAI SCHÖNEBERG

Was kann an Grundlagenforschung so verwerflich sein? Bald nach der Ankündigung der Technischen Universität Clausthal, im Gorlebener Salzstock ein Versuchslabor unter Tage errichten zu wollen, griffen Atomkraftgegner zu herbem Vokabular. Bei dem Forschungs-Vorhaben seien „offensichtlich mafiöse Strukturen“ am Werk, warf die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (BI) der TU vor. Wissenschaft und Atomlobby hätten sich verbündet, um Gorleben durch die Hintertür zum Endlager zu machen.

Das TU-Projekt ist zumindest ambitioniert. Etwa 130 Millionen Euro könnte das Untertagelabor in Gorleben kosten, in dem die Endlagerung hochradioaktiven Abfalls untersucht werden soll, sagt TU-Vizepräsident Hans-Peter Beck zur taz. Eines Tages könnten hier 50 bis 100 Beschäftigte arbeiten. Auch in der Schweiz, Schweden und Frankreich gebe es bereits Untertagelabors, „nur die Deutschen“, so Beck, „haben keines“. Wissenschaftsminister Lutz Stratmann (CDU) hat bereits angekündigt, das Land Niedersachsen werde das Projekt „wohlwollend“ unterstützen, aber keine finanziellen Zusagen gegeben. Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) plädiert ohnehin seit langem für ein Untertagelabor. „Die wollen da etwas unter dem Deckmäntelchen der Forschung in Gorleben installieren“, vermutet indes der Atom-Experte der Grünen, Andreas Meihsies.

BI-Sprecher Francis Althoff fürchtet sogar einen atomaren „Forschungs-Spielplatz“ für altbekannte Atom-Befürworter wie den Endlager-Spezialisten Klaus Kühn von der TU Clausthal. Der fordert seit langem, Gorleben endlich als Endlager für schwer radioaktiven Atommüll zu Ende zu erkunden. Zudem attestierte er laut BI als zuständiger „Sicherheitsexperte“ die Unbenklichkeit der „Katastrophen-Lager“ Asse II bei Wolfenbüttel und Morsleben bei Helmstedt. Morsleben ist wegen Einsturzgefahr geschlossen, in das ehemalige Forschungsbergwerk Asse sickert Salzlauge ein. Kühn unterhält enge Kontakte zur Gesellschaft für Nuklearservice (GNS), einem Gemeinschaftsunternehmen deutscher Atomstromkonzerne. Die GNS will nicht nur zum Ende des Jahres eine Stiftungsprofessur an der TU Clausthal einrichten – als eine Art Vorstufe zum Labor. Sie stellt auch die Castor-Behälter her, ihre Tochter Brennelementlager Gorleben (BLG) ist zudem Betreiber des Atommüll-Zwischenlagers in Gorleben.

Die TU weist alle Vorwürfe energisch zurück. Honorarprofessor Kühn sei „ein weltweit anerkannter Insider“, sagt Vize-Präsident Beck. Er habe direkt weder mit dem geplanten Untertagelabor in Gorleben noch mit der Stiftungsprofessur zu tun. Auch entscheide die Hochschule über die Besetzung der Professur, nicht der Stifter GNS, die den Lehrstuhl mit „etwa ein bis zwei Millionen Euro“ finanziere. Es lägen bereits „hochrangige Bewerbungen aus den USA, der Schweiz und Deutschland“ vor, eine „Verquickung zwischen Stiftungsprofessur, BLG und GNS“, betont Beck, gebe es nicht. Die TU sei der „Freiheit der Forschung“ verpflichtet. Bislang sei das Untertagelabor „nur eine Idee“, sagt der TU-Vize, Geldgeber habe er noch nicht gefunden. Während Bürgerinitiativen befürchten, das Labor sei die Vorstufe zur Planfeststellung für Gorleben, eröffnet es für Beck sogar die Möglichkeit, eines Tages ganz auf die umstrittene Endlagerung zu verzichten.

Während viele Forscher bezweifeln, dass Atommüll tausende Jahre sicher endgelagert werden kann, will die TU die „Rückholbarkeit“ des Stoffes erkunden, um ihn eines Tages vielleicht sogar wieder zum Energieträger umzuwandeln. „Wir dürfen keine unwiederbringlichen Tatsachen schaffen“, betont Beck. „Wenn man den Deckel nicht zumacht, könnte man vielleicht sogar an die Wiederaufbereitung des strahlenden Materials zum Energieträger gehen.“

Das zuständige Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) steht dem Labor skeptisch gegenüber: Das Clausthaler Konzept ist dem Amt nicht nur „nicht bekannt“, es gelte zudem noch das zwischen Bund und Energieversorgern im Jahr 2000 vereinbarte Erkundungsmoratorium in Gorleben. Im vergangenen Jahr war das BfS nach einem Expertenhearing zu dem Schluss gekommen, dass „zwischen Rückholbarkeit und Langzeitsicherheit“ ein „Zielkonflikt“ bestehe. Und Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) sagte erst am Montag in Wolfenbüttel, „das Risiko, dass Wasser und andere Transportmedien eindringen könnten“ sei „viel zu hoch“, wenn der Atommüll nicht vollständig versiegelt werde: „Rückholbarkeit wird in Deutschland kein Konzept“.